Der Erl�ser
graue Dunkel hinaus. Er hatte ein Café gefunden, in dem er günstig Kaffee trinken und etwas essen konnte. Und dann hieß es warten. Er sah auf die Uhr.
*
Die längste Nacht hatte begonnen. Die Dämmerung tönte die Hauswände und Felder grau, als Harry vom Holmenkollen wegfuhr, doch noch bevor er im Stadtteil Grønland ankam, war es in den Parkanlagen stockfinster.
Er hatte von Mads Gilstrup aus die Kriminalwache angerufen und darum gebeten, einen Wagen zu schicken. Dann war er gegangen, ohne etwas anzufassen.
Er parkte sein Auto auf den Stellplätzen des K3 im Präsidium und ging in sein Büro hinauf. Von dort rief er Torkildsen an:
»Das Handy meines Kollegen Halvorsen ist verschwunden, ichmüsste aber wissen, ob Mads Gilstrup ihm eine Nachricht hinterlassen hat.«
»Und wenn er das getan hat?«
»Dann will ich die hören.«
»Das wäre ja Abhören, das wage ich nicht«, seufzte Torkildsen. »Rufen Sie die Kontaktstelle für die Polizei an. «
»Dafür brauche ich einen Gerichtsbeschluss, und dafür habe ich keine Zeit. Haben Sie einen anderen Vorschlag?«
Torkildsen dachte nach. »Hat Halvorsen einen PC?«
»Ich sitze daneben.«
»Nein, ach, vergessen Sie’s.«
»An was dachten Sie? «
»Über die Webseite von Telenor-Mobil haben Sie Zugang zu allen Nachrichten auf Ihrem Anrufbeantworter, aber Sie brauchen natürlich ein Passwort, um da reinzukommen.«
»Ein Passwort, das man sich selbst aussucht?«
»Ja, schon. Aber wenn Sie das nicht haben, brauchen Sie verdammtes Glück, um «
»Versuchen wir’s«, sagte Harry. »Wie lautet die Web-Adresse?«
»Sie brauchen wirklich ein Wahnsinnsglück«, sagte Torkildsen. Er brachte das im Tonfall eines Menschen vor, der vom Glück nicht verwöhnt war.
»Ich habe das Gefühl, dass ich es kenne«, sagte Harry.
Als er die Website aufgerufen hatte, tippte er »Lew Jaschin« in das Feld für das Passwort. Und erhielt die Meldung, dass das Passwort nicht korrekt war. Dann verkürzte er einfach auf »Jaschin«. Und da waren sie. Acht Nachrichten. Sechs davon von Beate. Eine von einer Nummer aus Trøndelag. Und eine von dem Handy, dessen Nummer auf der Visitenkarte stand, die Harry in der Hand hielt. Mads Gilstrup.
Harry klickte auf das Lautsprecher-Symbol und hörte die Stimme des Menschen, den er eine knappe halbe Stunde zuvor tot in seinem Haus hatte liegen sehen, metallisch durch die Plastikbox des Computers scheppern.
Als sie schwieg, hatte Harry auch noch das letzte Puzzleteilchen.
»Und es weiß wirklich niemand, wo Jon Karlsen ist?«, erkundigte sich Harry per Telefon bei Skarre, während er die Treppen des Präsidiums hinunterging.
»Hast du es schon in Roberts Wohnung probiert?«
Harry trat an den Tresen der Materialausgabe und schlug auf die Metallglocke.
»Da habe ich auch angerufen«, sagte Skarre. »Keine Antwort.« »Fahr da mal hin. Geh rein, wenn niemand aufmacht, okay?« »Die Schlüssel sind bei der Kriminaltechnik, und es ist schon nach vier. Gewöhnlich ist Beate ja immer noch länger da, aber jetzt nach der Sache mit Halvorsen «
»Vergiss die Schlüssel«, sagte Harry. »Nimm ein Brecheisen mit. «
Harry hörte ein Schlurfen und sah, wie sich ein Mann in einem blauen Lagerkittel langsam näherte. Das Gesicht war von einem Netzwerk von Falten überzogen, und die Brille hing auf der äußersten Spitze seiner Nase. Ohne Harry eines Blickes zu würdigen, nahm er den Ausgabeschein, den Harry auf den Tisch gelegt hatte.
»Durchsuchungsbefehl?«, fragte Skarre.
»Brauchen wir nicht, der, den wir hatten, gilt noch«, log Harry. »Echt?«
»Wenn jemand fragt, sagst du, dass ich dir den Befehl gegeben habe, okay?«
»Okay.«
Der Mann im blauen Kittel grunzte. Dann schüttelte er den Kopf und gab Harry den Schein zurück.
»Ich ruf dich später wieder an, Skarre. Hier scheint es ein Problem zu geben «
Harry steckte das Handy in die Tasche und sah den Blaukittel verständnislos an.
»Sie können nicht die gleiche Waffe zweimal kriegen, Hole«, sagte der Mann.
Harry verstand nicht recht, wovon Kjell Atle Orø sprach, aber das warme Kribbeln im Nacken signalisierte ihm etwas. Weil er es schon einmal gespürt hatte. Und das konnte nur bedeuten, der Albtraum war noch nicht vorbei, sondern hatte gerade erst begonnen.
*
Gunnar Hagens Frau strich ihr Kleid glatt und verließ das Badezimmer. Ihr Mann stand vor dem Flurspiegel und versuchte sich die schwarze Smokingschleife zu binden. Sie blieb neben ihm stehen, da sie
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