Der Erl�ser
kippten um. »Tür zu!«, schrie er.
Aber Jon stand wie hypnotisiert da und starrte in den Flur. Leicht vorgebeugt, als wollte er jemand behilflich sein.
Harry nahm einen Schritt Anlauf, sprang über das Sofa und stürzte zur Tür.
»Don’t « , sagte Jon.
Harry zielte und sprang. Auf einen Schlag schien alles still zu stehen. So etwas hatte er früher schon mal erlebt, das Adrenalin begann zu wirken und veränderte das Gefühl für die Zeit. Es war, als würde man sich unter Wasser bewegen. Und er wusste, es war zu spät. An seiner rechten Schulter konnte er die Tür spüren, an der linken Jons Hüfte und auf dem Trommelfell die Druckwelle einer Pulverexplosion und eines Projektils, das gerade eine Pistole verlassen hatte.
Dann kam der Knall. Von der Kugel. Von der Tür, die krachend ins Schloss fiel. Und von Jon, der erst gegen den Garderobenschrank und dann auf den Rand der Anrichte stürzte. Harry drehte sich auf die Seite und blickte nach oben. Die Klinke wurde nach unten gedrückt.
»Scheiße«, flüsterte Harry und kam wieder auf die Knie. Zweimal wurde hart an der Tür geruckt.
Harry bekam den leblosen Jon am Gürtel zu fassen und zog ihn über das Parkett ins Schlafzimmer.
Es kratzte draußen an der Tür. Dann knallte es wieder. Splitter flogen aus dem Holz, ein Sofakissen zuckte, eine einsame graue Daune stieg zur Zimmerdecke, und der Fitmilchkarton auf dem Wohnzimmertisch begann zu glucksen. Die Milch zeichnete eine schlappe, weiße Parabel auf die Tischplatte.
Die Menschen unterschätzen gern, was ein einfaches Neun-Millimeter-Projektil anrichten kann, dachte Harry und drehte Jon auf den Rücken. Ein einzelner Tropfen Blut rann aus einem Loch in seiner Stirn.
Es knallte wieder. Glas splitterte.
Harry fischte das Handy aus seiner Tasche und wählte Beates Nummer.
»Ja, ja, ich komme ja schon, musst du immer so drängeln?«, antwortete Beate gleich nach dem ersten Klingeln. »Ich bin vor «
»Hör zu«, fiel Harry ihr ins Wort. » Gib über Funk Bescheid, dass wir hier umgehend alle Einsatzkräfte brauchen. Mit Blaulicht und allem Drum und Dran. Hier steht jemand vor der Tür und will uns mit Blei spicken. Und du bleibst weg, verstanden?«
»Verstanden, halt die Verbindung aufrecht.«
Harry legte das Handy vor sich auf den Boden. Es kratzte an der Wand. Konnte er sie hören? Harry saß regungslos da. Das Kratzen kam näher. Was für Wände hatten sie hier? Ein Projektil, das eine schallisolierte Wohnungstür durchschlug, würde mit den wenigen Gipsplatten und dem bisschen Isolationsmaterial einer Leichtbauwand erst recht keine Probleme haben. Noch näher. Dann stoppte es. Harry hielt die Luft an. Und in diesem Moment hörte er es. Jon atmete.
Dann hob sich langsam ein Laut von dem gleichmäßigen Rauschender Stadt ab, der wie Musik in Harrys Ohren klang. Eine Polizeisirene. Zwei Polizeisirenen.
Harry lauschte. Nichts. Lauf weg, flehte er. Hau ab. Und wurde erhört. Das Geräusch sich entfernender Schritte klang vom Treppenhaus herein.
Harry legte den Hinterkopf aufs kalte Parkett und starrte an die Decke. Durch den Spalt unter der Tür zog es kalt. Er schloss die Augen. Neunzehn Jahre. Mein Gott. Noch neunzehn Jahre bis zu seiner Pensionierung.
KAPITEL 12
Donnerstag, 17. Dezember. Hospital und Asche
I m Schaufenster sah er die Spiegelung eines Polizeiwagens, der sich hinter ihm auf der Straße näherte. Er ging weiter, wobei er sich beherrschen musste, nicht zu rennen. Nicht so wie vor ein paar Minuten, als er von Jon Karlsens Wohnung über die Treppe nach draußen gestürmt war, beinahe eine junge Frau mit Handy umgerissen hätte, durch den Park gehetzt war, nach Westen, in Richtung der belebten Straße, auf der er sich jetzt befand.
Der Polizeiwagen war ebenso schnell wie er. Er sah eine Tür, öffnete sie und hatte plötzlich das Gefühl, in einen Film geraten zu sein. Ein amerikanischer Film mit Cadillacs, Lederkrawatten und jungen Elvis Presleys.
Die Musik, die aus der Anlage kam, hörte sich an wie eine alte Hillbilly-Platte, die man mit dreifacher Geschwindigkeit abspielt, und die Kleidung des Barkeepers schien direkt von einem Plattencover zu stammen.
Er sah sich in der kleinen, aber überraschend vollen Bar um und merkte erst mit einiger Verzögerung, dass der Barkeeper ihn angesprochen hatte.
» Sorry ?«
»A drink, Sir ? «
»Warum nicht? Was haben Sie?«
»Tja, vielleicht einen Slow Comfortable Screw-Up ? Aber eigentlich sehen Sie aus, als könnten sie
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