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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Tatsächlich?«
    »Nur ganz kurz«, sagte er und schluckte. Die Nähe des Kellners verunsicherte ihn.
    »Nur kurz«, wiederholte der Kellner. » I see . «
    Die Toilette war leer und roch nach Seife. Nicht nach Freiheit.
    Der Geruch wurde noch stärker, als er den Deckel des Seifenspenders über dem Waschbecken aufhebelte. Er schob den Jackenärmel hoch und steckte die Hand in die grüne, kalte Suppe. Einen Augenblick lang schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: dass sie die Seifenspender ausgewechselt haben könnten. Doch dann spürte er sie. Er zog sie langsam heraus, und die Seife zeichnete lange, grüne Finger auf das Weiß des Porzellans. Nach einer Wäsche und ein bisschen Öl würde die Waffe wie neu sein. Und im Magazin steckten noch immer sechs Patronen. Er beeilte sich, die Pistole abzuspülen, und wollte sie gerade in die Manteltasche stecken, als sich die Tür öffnete.
    »Hello again« , flüsterte der Kellner und lächelte breit. Aber sein Lächeln erstarrte, als seine Augen auf die Waffe fielen.
    Er ließ die Pistole rasch in seine Tasche gleiten, murmelte ein »Goodbye« und schob sich eilig durch die enge Türöffnung am Kellner vorbei. Er spürte den raschen Atem des anderen auf dem Gesicht und dessen hartes Glied an seinem Oberschenkel.
    Erst als er wieder draußen in der Kälte stand, spürte er sein Herz. Es schlug. Als hätte er Angst gehabt. Das Blut strömte durch seinen Körper, und ihm war auf einmal ganz warm und leicht zumute.
     
    *
     
    Jon Karlsen war gerade auf dem Weg nach draußen, als Harry in der Gøteborggata eintraf.
    »Ist es schon so spät?«, fragte Jon und sah verwirrt auf die Uhr. »Ich bin ein bisschen früh dran«, sagte Harry. »Meine Kollegin kommt gleich.«
    »Kann ich noch kurz Milch kaufen?« Er trug eine dünne Jacke. Seine Haare waren frisch gekämmt.
    »Aber sicher.«
    Der Lebensmittelladen befand sich an der gegenüberliegenden Ecke, und während Jon den Gegenwert von einem Liter Fitmilch aus der Tasche fischte, starrte Harry fasziniert auf die überreiche Auswahl an Weihnachtsschmuck, der zwischen dem Toilettenpapier und den Cornflakespackungen ausgestellt war. Keiner von beiden kommentierte die Schlagzeilen der Zeitungen, die auf einemGestell vor der Kasse standen. Der Mord auf dem Egertorg schrie ihnen in Riesenbuchstaben entgegen. Auf der Titelseite des Dagbladet war ein unscharfer, körniger Ausschnitt des Fotos von Wedlog zu sehen. Ein roter Kreis war um den Kopf einer Person mit rotem Schal gezogen worden. Darüber prangte der Satz: DIE POLIZEI SUCHT DIESEN MANN.
    Sie gingen nach draußen, und Jon blieb vor einem Bettler mit roten Haaren und einem Siebziger-Jahre-Schnäuzer stehen. Er wühlte tief und lange in seinen Taschen, ehe er etwas fand, das er in den braunen Pappbecher fallen ließ.
    »Ich kann Ihnen nicht viel anbieten«, sagte Jon zu Harry. »Und der Kaffee steht, ehrlich gesagt, auch schon eine ganze Weile auf der Heizplatte. Schmeckt vermutlich nach Asphalt.«
    »Wunderbar, so mag ich ihn am liebsten.«
    »Sie auch?« Jon Karlsen lächelte matt. »Au!« Jon fasste sich an den Kopf und drehte sich zu dem Bettler um. »Bewirfst du mich jetzt mit Geld?«, fragte er verwundert.
    Der Bettler schnaubte verärgert durch seinen Bart und rief mit klarer Stimme: »Ich nehme nur gültiges Geld, danke!«
    Jon Karlsens Wohnung war genauso geschnitten wie die von Thea Nilsen. Obwohl sie aufgeräumt und sauber war, zeigte sie in der Einrichtung die klare Handschrift eines Junggesellen. Harry kam rasch zu drei Annahmen: Die alten, aber gut erhaltenen Möbel stammten vom selben Ort wie seine eigenen, dem »Elevator« im Ullevålsveien. Zweitens, Jon war nicht in der Kunstausstellung gewesen, für die das einsame Plakat an der Wohnzimmerwand warb. Und drittens, es wurden mehr Mahlzeiten in gebückter Haltung über dem Fernsehtischchen eingenommen als in der kleinen Essecke in der Küche. Auf dem fast leeren Bücherregal stand das Bild eines Mannes in der Uniform der Heilsarmee, der mit flehendem Blick ins Zimmer starrte.
    »Ihr Vater?«, fragte Harry.
    »Ja«, antwortete Jon, nahm zwei Tassen aus dem Küchenschrank und goss aus einer braun gebrannten Glaskanne Kaffee ein.
    »Sie sehen sich ähnlich.«
    »Danke«, sagte Jon. »Das hoffe ich.« Er nahm die Tassen und stellte sie zusammen mit einem Milchkarton auf den Wohnzimmertisch,auf dessen lackierter Oberfläche zahllose Ringe bewiesen, wo er für gewöhnlich aß. Harry wollte fragen, wie die Eltern die

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