Der erotische Fremde
war.
„Emma, ist die Leitung sauber?"
„Das weiß ich nicht genau. Ich habe heute Nacht meinen Rucksack verloren. Ich brauche dringend Geld. Ich habe heute Nacht... Überstunden gemacht ..." Sie erklärte ihm schnell und mit sorgfältig ausgesuchten Formulierungen, teilweise verschlüsselt, was geschehen war, und dass sie sich nun in der Wohnung des Mannes befand, dessen Foto in den Dateien enthalten war, die sie ihm gemailt hatte.
„Ist der Kerl okay?" wollte Hai wissen, als sie mit ihrem Bericht fertig war.
„Ich weiß es nicht. Mich scheint er jedenfalls für einen weiblichen Schläger zu halten." Sie zeigte Fred die Zähne. Der lachte.
„Im Ernst?"
„Er hat mich gerade durchsucht."
Hai schwieg einen Moment. „Sei bloß vorsichtig, Emma. Glaubst du, du kannst noch heute Nacht von dort weg? Ich könnte ein Hotelzimmer für dich besorgen ..."
„Ohne Ausweis kann ich in kein Hotel."
„Verdammt, ja. Und wenn du zur Polizei gehst und angibst, dass du alles verloren hast?"
„In dieser Aufmachung?"
„Mir gefällt das alles überhaupt nicht", sagte ihr Cousin. „Sei vorsichtig. Ich schicke dir telegrafisch Geld, das kannst du abholen, ohne dich ausweisen zu müssen. Die Hauptsache ist, du verschwindest aus der Stadt. Der Fluglotsenstreik in Frankreich hat um Mitternacht angefangen. Kommst du zum Gare de Lyon?"
Zu dumm, dass sie sich in diese Situation gebracht hatte. „Ja, ich kann dorthin laufen."
„Okay. ,Amtravel' hat dort im Bahnhof eine Wechselstube. Ich schicke eine Geldanweisung, die ohne Empfängeridentifikation auszuzahlen ist. Geh sofort morgen früh hin, hol das Geld und nimm den ersten Zug, den du bekommst. Geh nicht zu deinem Vater oder irgendjemandem, den du kennst.
Wenn Verdun dein Adressbuch hat, können sie dich sonst leicht aufspüren. Mach, dass du aus der Stadt kommst, nimm dir irgendein Hotelzimmer und versteck dich ein paar Tage. Und gib mir dann Bescheid."
Sie würde dort also als Erstes zur Polizei gehen und erklären müssen, dass ihre Tasche im Zug gestohlen worden sei, damit man ihr einen vorläufigen Ausweis ausstellte.
„Ich werde übers Wochenende nicht im Büro sein, also ruf mich auf dem Handy an. Ruf mich alle zwölf Stunden an, möglichst mittags und um Mitternacht nach meiner Zeitrechnung. Das ist welche Zeit - neun Uhr morgens und neun Uhr abends in Paris, richtig?"
„Du musst mir die Nummer sagen. Es war ja alles in meiner Tasche. Wart eine Sekunde, ich hole einen Stift."
Nachdem sie alles besprochen hatten, legte sie auf. Die Warnungen ihres Cousins hallten in ihrem Kopf wider. Mariel nahm ihre Mokkatasse und trank den letzten Rest des schwarzen Gebräus. So wie sie das sah, hatte der Kaffeesatz eindeutig die Form einer Guillotine angenommen.
5. KAPITEL
Mariel riss den Zettel mit Hals Telefonnummer vom Block. Fred stand auf und wartete ab, bis sie ihm in den Salon vorausging. Sie kam sich fast vor wie eine Gefangene, obwohl der Raum wunderschön war. Fred nahm eine arabische Zeitung und ließ sich im Schein der einzigen Lampe auf das komfortable Ledersofa nieder.
Die Nacht war mild. Eine leichte Brise wehte durch die offenen Glastüren und brachte den Duft der Blumen vom Balkon mit herein. Die Geräusche der Straße drangen nur als leises Rauschen nach oben.
Es war alle s intim und einladend. Fast hatte Mariel das Gefühl, als habe sie das Recht, sich eine Zeitschrift zu nehmen und Fred auf dem Sofa Gesellschaft zu leisten - mit dem Kopf auf seinem Schoß.
Sie wurde rot. Rasch beugte Mariel sich über den Couchtisch und blätterte in einem Stapel Zeitschriften. „Kann ich mir davon welche zum Lesen nehmen?"
Er blickte sie erstaunt an. „Du willst nicht schlafen?"
„Du etwa?"
Fred hob die Schultern. „Nimm, was du willst. Aber du hast nichts von mir zu befürchten."
„So, so."
Sie waren beide zu angespannt, um zu lächeln. Mariel nahm sich ein paar Zeitschriften, sagte steif Gute Nacht und ging zurück in das Schlafzimmer mit den rubinroten Vorhängen. Die Tür war verschließbar, also verschloss sie sie, so wie Hai es ihr geraten hatte. Zur Sicherheit schob sie noch einen Sessel unter die Klinke. Dann überprüfte sie das Schloss der Schiebetür zum Balkon.
Hin und her gerissen zwischen den widersprüchlichsten Gefühlen, schlüpfte sie schließlich ins Bett.
Einerseits sagte ihr ihr Instinkt, dass sie Fred trauen konnte, doch ihr Verstand warnte sie, dass sie vielleicht im Schlaf umgebracht werden könnte. Einerseits wollte sie Fred
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