Der erotische Fremde
führte ein Metalltor nach draußen. Fred rannte zu einem Kästchen an der Wand und schob wieder seine Karte in den Schlitz. Klappernd und mit unerträglicher Langsamkeit begann das Tor sich zu öffnen.
„Los!" rief Fred.
Mariel ließ sich auf den schmutzigen Asphalt fallen und rollte sich unter dem Tor hindurch. Fred folgte ihr. Sie rappelten sich auf und rannten die steile Ausfahrt hinauf. Oben befand sich ein weiteres Metallgitter, das sich gerade zu öffnen begann. Sie quetschten sich darunter hindurch und liefen die schmale Straße hinab.
„Links!" rief Fred, als sie an eine Kreuzung kamen.
Hinter ihnen näherten sich Schritte.
Sie bogen um mehrere Ecken. Mariel begann heftig zu keuchen. Ihre hochhackigen Stiefel waren ein Hindernis. Normalerweise hätte Fred viel schneller rennen können. Immer noch hör ten sie ihre Verfolger hinter sich.
In der nächsten Straße, in die sie einbogen, waren links und rechts kleine Läden und Bistros.
„Hier rein!" kommandierte Fred und zog Mariel mit sich in einen schwach beleuchteten Laden ohne Ladenschild. „Tribe" war unbeholfen auf die Schaufensterscheibe gemalt.
Das Lädchen war voll gestopft mit Secondhandsachen. Im hin teren Teil befanden sich ein paar Umkleidekabinen. Zwei Verkäufer, ein Junge und ein Mädchen, unterhielten sich leise im hin teren Teil des Ladens und blickten nur kurz auf. „Bonjour, Monsieur, bonjour, Madame."
Mariel, die immer noch völlig außer Atem war, überließ Fred das Reden und fing an, in den Regalen herumzusuchen.
Fred sprach die Verkäufer auf Englisch an. „Hallo, kann ich mich hier ein bisschen umsehen?"
„Klar, gern", erwiderte das Mädchen und ebenfalls auf Englisch. Die Kleine trug ein Nasenpiercing, ihr Haar war lila, und ihr Outfit bestand aus einem grünen Shorty, das ihr kaum bis zu den Schenkeln reichte, einem schmuddeligen schwarzen BH und einer schwarzen Radlerhose und schwarzen Stiefeletten, zu de nen sie schwarze Söckchen trug.
Mariel nahm sich eine Jeans. Sie sahen aus wie aus der Altkleidersammlung. Nun, es gab sicher Schlimmeres. Sie nahm sich noch ein paar andere Sachen, spähte dabei immer wieder zum Fenster, und ging dann nach hinten.
„Könnte ich das hier anprobieren?" fragte sie ebenfalls auf Englisch.
Das Mädchen musterte sie von Kopf bis Fuß. „Natürlich", sagte es und führte Mariel zu einer der Kabinen. „Sie möchten Ihr Image verändern, nicht wahr?"
„Genau."
„Wir haben hier alles. Mein Chef, Gerard, findet immer die tollsten Sachen."
Fred unterhielt sich mit dem Jungen. Als Mariel ihren Vorhang zuzog, wurde Fred gerade zur nächsten Kabine geführt. Der junge Verkäufer war ebenfalls ein absoluter Grunge-Fan. Sein Kopf war kahl geschoren bis auf eine einzelne, orangerote Locke, und über einem Ohr hatte er einen Dolch in die Kopfhaut tätowiert. Außerdem war er an mehreren Stellen gepierct. Er trug eine ärmellose Weste und eine Khakihose aus Armeebeständen. Eine Unmenge von Armreifen aus Zinn schmückten seine nackten Arme.
„Thank you", erwiderte Fred.
„Wir haben auch Stiefel in Ihrer Größe, glaube ich."
Mariel zog sich aus und schlüpfte in Jeans mit extrem weit ausgestellten Beinen, die an mehreren Stellen durchlöchert waren und mit Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden oder mit bunten Stofffetzen geflickt waren. Sie hingen ihr auf den Hüften, unterhalb des Nabels, so dass man ihr Schmetterlingstattoo und ihr Nabelpiercing sehen konnte. Als Oberteil wählte sie eine ziemlich vergilbte ärmellose Bluse, mit riesigem Kragen, die im Rücken geschlossen wurde. Sie reichte nur bis kurz über die Taille.
So weit, so gut.
Draußen unterhielten sich der Junge und das Mädchen in ihrer Muttersprache über ein Konzert, das der Junge besucht hatte.
„Was meinst du, was mit den beiden los ist?" wisperte das Mädchen plötzlich.
„Keine Ahnung."
„Na ja, es ist schon komisch. Warum will so ein Typ plötzlich einen auf Grunge machen?" Ihr Ton war volle r Bewunderung, als ob Fred es ihr angetan hätte. Mariel konnte das zu gut verstehen.
„Keine Ahnung."
„Was meinst du, ob sie vor jemandem auf der Flucht sind? Sie haben dauernd durchs Fenster geschielt. Und hast du den Typ gesehen, der gerade von draußen hereingeguckt hat? Ganz komischer Typ. Ob sie verfolgt werden?"
„Du hast zu viel Fantasie", sagte der Junge trocken.
Mariel bekam eine Gänsehaut. Ihre Verfolger hatten sie also nicht verloren. Sie zog den Vorhang zurück und trat aus der Kabine. Das
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