Der erotische Fremde
magisch anzieht."
Mariel fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Voller Verlangen erwiderte sie seinen Blick.
Es wäre dumm. Es wäre leichtsinnig. Sie wusste es. Aber es wäre wundervoll.
Er beugte sich vor, hin zu ihren bereitwillig geöffneten Lippen.
Da klingelte das Handy auf dem Tisch. Sein Mund war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt.
Haroun schloss die Augen und straffte die Schultern. Es klingelte wieder. Wenn dieses Handy klingelte, konnte es nur Ashraf sein, und wenn er nicht antwortete, dann würde - so war es verabredet der Wachposten vor der Tür innerhalb einer Minute ein treten und nachsehen, was los war.
Mit einem unterdrückten Fluch ließ er Mariels Schultern los und nahm das Handy. Dann meldete er sich.
„Es ist der letzte Tag des Monats. Ich habe vergessen, dir die neuen Nummern zu geben", sagte Ashraf.
Er war ziemlich sicher, dass das nicht der wirkliche Grund war, weshalb Ashraf anrief. Sein Bruder war nun einmal höllisch misstrauisch. „Stimmt", erwiderte er.
„Bist du bereit?"
Haroun schlenderte hinüber auf den Balkon, blickte hinab auf den Fluss und atmete ein paar Mal tief durch. „Schieß los."
Er gab die neuen Telefonnummern, die Ashraf ihm diktierte, in den Speicher seines Handys ein. Es war eine der vielen Vorsichtsmaßnahmen, auf denen Najib, der für ihre Sicherheit zuständig war, bestanden hatte. Jeden Monat neue Nummern für all ihre Telefone.
„Und denk dran. Nicht die Kontrolle verlieren", sagte Ashraf noch, bevor er auflegte.
Emma war inzwischen zu ihrem Platz am Tisch zurückgekehrt und hatte begonnen, sich über das Dessert, Salmas Spezialität, herzumachen.
Er lächelte ihr zu. Es war dieses gewisse Lächeln, bei dem Mariel immer ganz unruhig wurde. „Wo waren wir stehen geblie ben?"
„Ich denke, das lassen wir lieber", erwiderte sie.
Sie hatte natürlich Recht. Aber er wünschte, es würde ihr nicht so leicht fallen, vernünftig zu sein.
„Du und mein Bruder, ihr habt manches gemeinsam", bemerkte er und deutete auf das Handy.
„Wer ist dein Bruder?" fragte sie. Wieso war sein Gesicht plötzlich so angespannt?
Er schob das Handy in die Tasche und ging zum Servierwagen. „Möchtest du Kaffee?"
Nachdem sie in angespanntem Schweigen jeder zwei Tassen türkischen Mokka getrunken hatten, fragte sie: „Wenn ich jetzt vielleicht dein Telefon benutzen könnte, um mir Geld zu besorgen?"
Er machte eine weit ausholende Handbewegung. „Du siehst, es würde mir nichts ausmachen, dir jede Summe zu geben, die du willst. Wenn es dir lieber ist, nennen wir es Darlehen."
Aber sie konnte kein Geld von ihm nehmen, nicht, solange sie annehmen musste, dass es von Ghasib oder Verdun stammte. „Könnte ich allein telefonieren?"
Etwas blitzte auf in seinen Augen. „Ich fürchte, das wird nicht möglich sein."
Nun, vielleicht war das tatsächlich zu viel verlangt gewesen. „Werden deine Telefone abgehört?"
Er lachte. „Soweit ich weiß, nein. Aber wer kann da heutzutage schon sicher sein? Selbst unser jetziges Gespräch könnte belauscht werden."
Unwillkürlich blickte Mariel sich um. Jenseits des Balkonge länders war nichts außer dem Park und der Seine, und dahinter die Stadt. Sie saßen mitten auf dem weitläufigen Balkon, der sich über die ganze Seite des Gebäudes erstreckte. Es war eine warme, klare Sommernacht, und die Lichter der City konkurrierten mit den Sternen am Himmel.
Fred stand auf und ging zu einem kleinen Schränkchen. Er öffnete eines der Fächer, nahm ein schnurloses Telefon heraus, brachte es ihr und setzte sich mit einer kleinen Verbeugung ihr gegenüber.
Sie sah ihn scharf an. Unbeirrt hielt er ihrem Blick stand. Offenbar würde er sich in dieser Sache nicht umstimmen lassen.
Sie nahm den Hörer.
Alle wichtigen Nummern waren in ihrem Handy eingespeichert und in ihrem Adressbuch. Beides war weg. Doch zum Glück hatte sie sich eine Nummer eingeprägt, nämlich die von Hal Wards Privatanschluss in seinem Büro.
„Ja", meldete er sich.
„Hier ist Emma", sagte sie auf Englisch. Sie musste davon ausgehen, dass Fred Englisch konnte, aber er hatte nicht wissen können, dass sie es konnte. Zu dumm, dass sie diesen Trumpf nun aus der Hand geben musste, aber Hals Französisch war einfach zu schlecht, und sie musste sicher sein, dass er genau verstand, was vorging. „Wie geht es dir denn so?"
Sie hörte ih n tief durchatmen, als sie diesen Kode benutzte, der bedeutete, dass bei ihr keineswegs alles in Ordnung
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