Der erotische Fremde
Spione gewesen.
In letzter Zeit hatte es zunehmend Eingänge für Ghasib gege ben, die mit einem neuen Code unterzeichnet waren. Aber da die Dateien fast immer verschlüsselt gewesen waren, hatte Mariel nicht viel darüber herausfinden können.
Sie öffnete dennoch jede Datei, bevor sie sie verschickte, und versuchte, sie zu lesen. Dann lud sie sie auf eine ZIP-Diskette und löschte sie aus dem Geheimordner. Sobald sie alle Dateien angeschaut und heruntergeladen hatte, ging sie mit der ZIP-Diskette zu ihrem eigenen Computer und mailte die Dateien an Hal.
Niemals mailte sie etwas direkt von einem von Verduns Computern. Schließlich hatte er Software installiert, die sämtliche Bewegungen überwachte.
Mariel hob den Kopf und lauschte. Nichts. Es war immer besser, sich nicht so total auf seine Arbeit zu konzentrieren, dass man nichts mehr um sich herum wahrnahm. Sie sah auf die Uhr - acht Minuten nach halb elf. Dann klickte sie die nächste E-Mail mit dem Ghasib-Präfix an. Es war nur verschlüsselter Text. Rasch schloss sie die Datei und lud sie herunter und nahm sich die nächste vor.
Die letzte Datei war gerade erst hereingekommen. Verdun hatte sie also noch nicht gesehen. Mariel hatte eine merkwürdige Vorahnung, als sie sie öffnete. Vielleicht war diese Datei von be sonderer Bedeutung. Vielleicht wäre das endlich der Durchbruch.
Wieder war es eine verschlüsselte Botschaft, diesmal mit e inem Anhang. Mariel biss sich auf die Unterlippe und klickte auf Öffnen.
Es war eine Fotografie, die auf dem Bildschirm auftauchte. Mariel blinzelte. Ungläubig starrte sie darauf. Das war zweifellos der attraktivste Mann, der ihr jemals in ihrem ganzen Leben unter die Augen gekommen war.
Mariel saß da und betrachtete das Foto. Ihr Verstand schien auszusetzen, sie vergaß völlig die Realität um sich herum. Von Liebe auf den ersten Blick hatte sie schon gehört. „Coup de foudre"
nannten es die Franzosen. Sie glaubte an die Möglichkeit. Aber sie hatte noch nie davon gehört, dass sich jemand auf den ersten Blick in eine Fotografie verliebt hätte.
Gewelltes schwarzes Haar über einer breiten, geraden Stirn. Kräftige dunkle Augenbrauen. Dunkle, fast schwarze Augen und ein Blick so intensiv wie eine körperliche Berührung. Ein spöttisches Lächeln spielte um die vollen Lippen. Es war ein sinnlicher Mund. Ein Ausdruck von Wildheit lag auf diesem Gesicht.
Wer war dieser Mann? Eigenartigerweise hatte Mariel das Gefühl, ihn zu kennen. Aber das konnte doch nicht sein.
Sie schüttelte den Kopf und versuchte, ihren Realitätssinn wieder zu finden. Noch einmal sah sie auf die Zeitanzeige im Display. War es tatsächlich erst Viertel vor zwölf, oder stand die Zeit still, genau wie ofienbar ihr Verstand? Wie lange saß sie schon hier und starrte hingerissen auf dieses Gesicht?
Ihr Job war es, die Datei herunterzuladen. Aber sie würde es nicht ertragen können, dieses Gesicht nie mehr zu sehen. Ohne nachzudenken, zog Mariel den Cursor auf „Print". Sie drückte die Maustaste und hörte den Drucker anspringen. Im selben Moment wachte sie aus ihrer Versunkenheit auf und biss sich auf die Unterlippe. Das war es, was Spione Kopf und Kragen kosten konnte - ein einziger Augenblick nachlassender Aufmerksamkeit.
Aber es war zu spät.
Sie lud die Datei herunter und löschte sie dann aus dem Geheimordner. Verdun würde niemals erfahren, dass die Datei geöffnet worden war.
Zwei Minuten später stand sie immer noch am selben Platz, während der Drucker Zeile für Zeile das Bild ausdruckte. Es war ein Farbdrucker, der Bilder in höchster Qualität lieferte, aber entsetzlich langsam arbeitete. Was für eine Idiotin sie war! Sie hätte zusehen sollen, dass sie so schnell wie möglich von hier wegkam. Doch jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten. Drucker gehörten nicht zu ihrem Spezialgebiet. Sie hatte Angst davor, was womöglich geschehen würde, wenn sie den Druckvorgang abbräche. Würde der Drucker dann den Rest des Bildes ausdrucken, wenn er das nächste Mal eingeschaltet werden würde?
Normalerweise verschloss Mariel dieses Büro immer sofort, sobald sie mit ihrer Arbeit hier drinnen fertig war, aber dieser Drucker brauchte ja eine Ewigkeit. Um Zeit zu sparen, ging sie zu ihrem Computer und schob die ZIP-Diskette in den Schlitz.
Verdun hatte natürlich sämtliche Computer mit einer Software ausgestattet, die es ihm ermöglichte, jeden Tastaturanschlag im Nachhinein zu überprüfen. Mariel war ziemlich sicher,
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