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Der erschoepfte Mensch

Der erschoepfte Mensch

Titel: Der erschoepfte Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotraud A. Perner
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Arbeit und Leben sieht: Man lebe ja immer.
    Unter dem Schlagwort Work-Life-Balance verbergen sich wohlmeinende Anleitungen für ein Leben in mehr Harmonie, Gesundheit sowie geistiger und körperlicher Fitness. Man soll dadurch die vier Lebensbereiche Beruf, Beziehungen, Gesundheit und Sinn selbstbestimmend gestalten lernen. 217 Das erreiche man durch konsequente Einhaltung seines Lebenskonzepts, in dem für ausreichend Zeit zum Entspannen, Nachdenken und Auftanken gesorgt und durch regelmäßige Inventur nachgeprüft werde, ob der Lebensplan noch entwicklungsphasen- bzw. altersgemäß sei oder eine Anpassung erforderlich werde.
    Hannelore Fritz teilt beispielsweise den Lebenslauf in fünf Phasen – von der Geburt bis Ende der Ausbildung, von da an bis Ende der Zwanziger, von dreißig bis Mitte vierzig, danach bis Ende fünfzig und zuletzt von sechzig aufwärts, und stellt die Frage, welche inneren Werte jeweils dominieren. 218 Dass es Menschen gibt, deren Leben – freiwillig oder unter Zwang – in ganz anderen Phasen verläuft, blendet sie aus. Krisengeschüttelte Normalverbraucher, männlich wie weiblich, scheinen nicht ihre Zielgruppe zu sein. Ebenso orientiert sich Tanja Rolus in ihrem sehr alltagsorientierten Ratgeber offensichtlich an weiblicher Leserschaft (auch wenn die Illustrationen vielfach Männer aufweisen – die stammen aber auch von einem Mann!), wie die vielen Appelle zum Umgang mit einem wenig unterstützungswilligen Partner zeigen, 219 auch wenn sie beispielsweise nicht bedenkt, dass ihre Tipps zur Energiestärkung durch Rohkost für die zunehmende Zahl von Nahrungsmittelallergikern womöglich blanken Hohn darstellen.
    Die Ernährung ist bekannterweise ein wichtiger Faktor für jeweils Energieauf- oder -abbau. Doch bevor man seine Energie mit guten Ratschlägen für Kraftfutter vergeudet, sollte man sicher sein, dass sie bei potenziellen Empfängern der Botschaft ein offenes Ohr und vor allem ein offenes Herz vorfinden! Wer nämlich depressiv verstimmt (oder im Vollbild ernsthaft krank) ist, wird nicht aufnahmebereit sein. Ganz im Gegenteil wird er oder sie entweder keinen Bissen hinunterbringen oder sich mit Süßem vollstopfen oder vollrinnen lassen. Erst muss der Leidensdruck so groß sein, dass man selbst die Aktivität ergreift – und dann muss man auch mit Rückfällen rechnen, sobald sich erste Besserungen einstellen. Deswegen sind ja Selbsthilfegruppen so effizient: weil man sich dort meist nicht von Autoritäten kontrolliert und kritisiert fühlt, sondern unter Gleichen zugehörig – und damit die Energie der Gruppe spüren kann und nicht die Dominanz der Besserwisser, die eher Schuldgefühle verursachen und damit wieder einen Auslöser für weitere Seelen- und Körpervergiftung.
    Auch wenn es heilende Wirkung haben kann, wenn eine Autorität auf Überlegenheit verzichtet und ihr Wissen und Können wirklich teilt, ist Heilung immer ein Prozess, in dem man unabhängig von Expertenklugheit seine eigene Ganzheit findet und bewusst erlebt.
    Diese »vertikale Solidarität«, d.h. das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Verantwortung, das in vertikalen Bezügen denkt 220 , ist ein Beweis einer Kultur des Teilens, in der es vor allem darum geht, auf eigene Vorteile bewusst zu verzichten, wenn sie das Entwicklungspotenzial anderer vermindern könnten. Aus überlegener Position heraus jemanden zu belehren und damit das eigene Wissen in den Vordergrund zu stellen, ist nicht wirklich hilfreich, denn solch eine Inszenierung zielt auf Gewinn von Bewunderungs- oder Gehorsamsenergie. Im Sinne der Transaktionsanalyse wird damit der Empfänger der Botschaft ins sogenannte Kindheit-Ich gelockt, wo er oder sie folgsam und dankbar zu sein hat, während die Besserwisser aus der Position des – strafenden oder liebevollen – Eltern-Ichs heraus, also von oben herab, dominieren. 221
    Heilung ist immer ein Prozess,
in dem man seine eigene Ganzheit
findet und bewusst erlebt.
    Ganz anders liegen die Verhältnisse, wenn jemand auf gleicher Augenhöhe voll Begeisterung von den eigenen Lernerfahrungen berichtet! Wer sich an den genialen Opernführer Marcel Prawy erinnert, weiß, wie ansteckend solch eine Inspiration – da liegt das Wort Spirit, Geist, drinnen! – wirkt. Da können sich andere, die seine Fernsehsendung kopieren und damit aber nur sich selbst in Szene setzen wollen, nur demütig bescheiden.
    Während Tanja Rolus meinte, Work-Life-Balance diene dazu, das »innere Kraftzentrum« zu entdecken

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