Der erste Sommer
bin dein Gast. Vielleicht verkauft dir wer Brötchen. Danach kannst du mir in aller Ruhe erklären, was ich deiner Meinung nach verbrochen habe. I didn’t get one single note of it. «
»Semmeln heißt es bei uns.«
Musste sie immer das letzte Wort haben? Semmeln. Semmeln … In seinem Kopf arbeitete es. Plötzlich wusste er, wo Anne ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Penzberg hieß der Ort also. Deshalb ihr Hass. Nun, er würde es ihr erklären. Aber erst dann, wenn er wollte!
11
Die Verandatür der Nymphenburger Villa war nur angelehnt, der hölzerne Fensterladen klaffte einladend offen. Katharina drückte sie entschlossen auf. In dem Salon mit ausladender Stuckdecke war es trotz der gleißenden Morgensonne schummrig, so dass kaum die Umrisse der Möbel aus Kirschbaumholz auszumachen waren. In den verglasten Vitrinen waren Porzellanfiguren aufgereiht. Die Mitte des Raumes beherrschte ein Flügel. Vier hölzerne Notenständer waren aufgebaut. Zwei Geigen und die Bratsche lagen auf den Stühlen. Das Cello lehnte an dem Flügel. Die Noten waren zum zweiten Satz des Quintetts von Brahms aufgeschlagen. Alles war voller Staub. Ewald ging zu dem Flügel und schlug mit einem Finger eine Volksliedmelodie an. Katharina setzte sich mit einer Violine auf einen der Stühle und zupfte an den Saiten.
Plötzlich zuckte sie zusammen. Aus dem Treppenhaus war Getrampel zu hören, gleich danach wurde die Tür aufgerissen und ein Jugendlicher, um die vierzehn Jahre alt, stürztein den Raum. Unter seiner Ballonmütze quollen dunkle Locken hervor, seine Brauen waren so dicht, dass man kaum die Augen sah. In der Hand hielt er ein aufgeklapptes Taschenmesser. So sieht also ein Plünderer aus, dachte Katharina. Hinter ihm drängten sich zwei weitere Jungen und ein Mädchen in ihrem Alter in das Zimmer. Sie trugen abenteuerlich zusammengewürfelte Uniformreste, Lederhosen und weiße Hemden, das Mädchen ein viel zu weites bayerisches Dirndl mit einer blauen Schürze. Seelenruhig setzte Katharina die Geige an den Hals, um sie zu stimmen.
»Was macht ihr hier?«, fuhr der Anführer sie an.
»Das frage ich Sie. Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus, sonst lasse ich Sie wegschaffen.«
Katharina strich mit dem Bogen über zwei Saiten. Ihr Gegenüber verstummte verblüfft, fasste sich aber sofort wieder.
»Hiermit nehme ich euch gefangen. Dieses Haus gehört uns.«
Einer der Jungen krähte mit sich überschlagender Stimme:
»Wir sind die Panther, und jeder Widerstand ist zwecklos.«
Auf einen Wink des Anführers banden die Buben Katharina, die die Geige umklammert hielt, mit den Vorhangkordeln an dem Stuhl fest. Ewald, der mit offenem Mund an der Verandatür stand, beachteten sie nicht, was ihn maßlos ärgerte.
»Widerstand ist zwecklos«, wiederholte der Anführer überflüssigerweise. Weder leistete sie Widerstand, noch hätte sie sich mit solchem Pack in irgendeiner Form abgegeben.
»Wollen Sie sich nicht wenigstens vorstellen, Sie ungehobelter Kerl?«, fragte Katharina mit feierlichem Ernst.
Ewald musste über ihren gekünstelten Tonfall lachen. Seine Schwester warf ihm einen verachtungsvollen Blick zu.
»Ich bin der Ferdinand. Ferdinand von Moor.« Er verbeugte sich knapp und klappte sein Messer zusammen, bevor eres mit einer geübten Bewegung in die Hosentasche gleiten ließ.
»Wir müssen dem Chef Bescheid geben«, meldete sich das Mädchen im Dirndl zu Wort.
»Dem Chef«, äffte er sie gereizt nach. »Meinst du, darauf wäre ich nicht selbst gekommen?« Er funkelte sie wütend an und wandte sich dann betont freundlich an Katharina. »Ihr müsst verstehen, dass harte Zeiten harte Entscheidungen erfordern.«
Ewald streckte sich und gähnte laut. Noch immer hatte keiner von ihm Notiz genommen.
»Was, glaubst du, würden eure Eltern für eure Freiheit zahlen?«, fragte Ferdinand.
»Wir haben keine Eltern«, antwortete Katharina und lächelte herablassend.
»Jeder hat Eltern. Erst wird gevögelt, dann gibt es Kinder. Ohne Vögel keine Plagen.«
Er lachte, wobei seine Stimme eine Oktave nach oben schnellte. Nach einer Pause stimmte das Mädchen im Dirndl ihn anhimmelnd mit ein.
»Wenn Sie meinen. Aber im Gegensatz zu euch verfügen wir über ein riesiges Vermögen.« Katharina deutete auf die Vitrinen mit den Porzellanfiguren.
»Das stimmt nicht«, korrigierte Ewald sie und baute sich vor Ferdinand auf, »unsere Eltern sind mit dem Zug weg. Unsere Mutter sucht Papa und bringt ihn heim. Vielleicht ist sie aber auch in
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