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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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den falschen Zug gestiegen, weil nach Russland fahren gar keine Züge, aber vielleicht ist er auch in Berlin mit Geheimauftrag.«
    Ferdinand nahm Ewalds Erklärung nicht einmal zur Kenntnis, sondern schob ihn einfach zur Seite.
    »Mir wird das hier zu blöd. Sophie, schreib!«
    Sophie murrte, zog dann aber doch einen Block und einensilbernen Füllfederhalter aus ihrer Schürze. Sie legte die Bratsche auf den Flügel, setzte sich auf einen der Stühle und schlug die Beine übereinander.
    »Nymphenburg, 19. Julei 1945«, diktierte Ferdinand, »Wilder Panther, Stopp. Zwei Köpfe Salat im Garten gefunden. Wissen nicht, ob wir ihn gleich aufessen sollen. Stopp. Salat weist auf fruchtbare Beete hin. Bitte um weiteres Vorgehen per Bote, Stopp. Mit hochachtungsvollem Gruß F. Räuberhauptmann.«
    »Wie lange wohnt ihr schon hier?«, fragte Sophie, nachdem sie den Brief gefaltet und dem Jüngsten übergeben hatte. Der stopfte ihn in die Tasche und verließ das Haus durch den Garten.
    »Ach«, sagte Katharina und warf ihr einen gelangweilten Blick zu, »seit Atlanta noch eine freie Stadt war.«
     
    Zwei Stunden später kam der Bote schweißgebadet zurück. Ferdinand und Sophie saßen auf dem großen Sofa an der Längsseite des Raumes, gegenüber der Schrankwand mit den Vitrinen. Ferdinand hielt eine Zeitung vom März aufgeschlagen. Sophie hantierte mit Strickzeug herum, das sie in einem Korb unter dem Flügel gefunden hatte. Katharina saß verstockt auf dem Stuhl und umklammerte mit zusammengebundenen Händen die Violine.
    »Meinst du, sie haben hier etwas zu essen?«, fragte Sophie nun schon zum vierten Mal. Ferdinands Hände zitterten. Alle hatten sie Hunger. Ewald und der andere Junge saßen am Klavier und hämmerten wild auf den Tasten herum.
    »Ruhe!«, schrie Ferdinand. »Was hat der Bote zu berichten?«
    Der Bote setzte an: »Ich soll … hab’s vergessen.«
    »Vollidiot«, herrschte er den Kleinen an, »jetzt entscheide ich.« Er wandte sich an Katharina. »Ihr schreibt sofort eurenEltern. Sie müssen mindestens hunderttausend Reichsmark Lösegeld zahlen. Wenn sie das Geld nicht haben, müssen sie uns stattdessen das Haus schenken. Und ich möchte wissen, wie man den Tresor im Keller aufbekommt.«
    »Ich werde ihnen schreiben«, entgegnete Katharina würdevoll. »Sie sind sehr zart, unsere Eltern, und es wäre besser, sie würden nicht zu sehr in Aufregung versetzt.«
    »Dann tu es doch!« Ferdinand verstand ihr Getue nicht.
    »Dazu müsste man mir aber die Hände losbinden.«
    Musste er sich das von einem Mädchen gefallen lassen? Auf einen Wink Ferdinands löste Sophie unwillig Katharinas Fesseln.
    »Ich werde ihnen schreiben, dass sie Barmittel auftreiben müssen, um uns auszulösen. Mein Bruder wird die Botschaft überbringen. Das ist glaubwürdiger.«
    Ihre Backen glänzten rot vor Aufregung. Ihr Plan zur Befreiung gefiel ihr. Sie sah schon Ferdinands erschrecktes Gesicht vor sich, wenn statt des Geldes der fiese Schutzpolizist vor der Tür stände, der ihnen gestern die Zigarettenstummel abgenommen hatte.
    »Wo wohnen deine Eltern?«, fragte Sophie neugierig.
    »Angesichts der Wirren und Belastungen der Kriegsmonate haben sich meine Eltern im ›Hotel Vier Jahreszeiten‹ einlogiert.«
    Ewald starrte sie mit offenem Mund an. Mama holte also doch nicht Papa ab? Er verstand überhaupt nichts mehr.
    »Ewald, ich bitte dich«, fuhr seine Schwester in ihrem salbungsvollen Ton fort, »händige diesen Brief dem Nigger unserer Mutter aus, mit dem wir gestern über das Angeln verhandelten. Du erinnerst dich, es ging um die Prinzessin.« Sie blickte ihm fest in die Augen.
    Endlich verstand er! Sie meinte den ekligen Polizisten! Er sollte sie befreien. Es lag an ihm, seine Schwester zu retten.Vor Stolz hätte er herumhüpfen können, aber eine warnende Handbewegung von Katharina dämpfte seine Freude. Sie wandte sich wieder an Ferdinand.
    »Ihr müsst wissen, dass wir gestern die Leiche einer Prinzessin gefunden haben.«
    »Die Russen haben sie umgebracht«, ergänzte ihr Bruder.
    Missbilligend sah sie ihn an. »Der Nigger soll dich mit dem Geld hierher zurück begleiten. Und vergiss niemals: Falls du versagst, werde ich dich als Sklave auf eine Baumwollplantage verkaufen.«
    »Verstehst du, was sie sagt?«, fragte Sophie leise den Boten, der nur den Kopf schüttelte.
    Ferdinand wischte sich die Nase mit dem Hemdsärmel ab und stand auf.
    »Wenn der Rotzlöffel einen falschen Mucks macht, seid ihr

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