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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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entgegnete sie aufgebracht und begann aus heiterem Himmel zu schreien: »Warum hast du es getan? Los, sag endlich: Warum?«
    Martin hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu. Die Frau war verrückt, einfach nur verrückt.
    »Du wirst dieses Zimmer nicht eher verlassen, als bis ich die Wahrheit erfahren habe. Entweder du springst oder du gestehst. Anders kommst du hier nicht heraus.«
    Hatte sie nicht am Abend zuvor eng umschlungen mit ihm getanzt? Einen Versuch würde er noch machen. Aber nur einen.
    »Wer sagt, dass ich überhaupt weg will? Na komm schon, willst du dich nicht neben mich legen? Im Liegen redet es sich leichter. Lass uns gemeinsam abstürzen.«
    Verärgert über seine plumpe Zweideutigkeit schüttelte sie den hochroten Kopf. Martin musste an sich halten, um nicht loszulachen.
    »Biestige Frauen gefallen mir. Erst willst du mich erschießenlassen, und dann soll ich mich selbst in die Tiefe stürzen. Ich verrate dir was: So leicht wirst du einen Mann nicht los.«
    »Du hast der Agnes die Jacke über den Kopf gezogen, bevor ihr alle erhängt habt! Schön säuberlich, einen nach dem anderen. Ihr habt aus Penzberg eine Metzgerei gemacht, ihr feigen Werwölfe!« Sie schrie schon wieder und spuckte auf den Boden. »Bildest du dir etwas darauf ein, dass du ihr den Anblick ihres sterbenden Mannes erspart hast? Hast du nicht gesehen, wie sie in die Jacke gebissen hat? Jede Sekunde bis zu deinem Tod sollst du ihre Zähne in deinem Rücken spüren. Es wird dir nicht helfen, dass du die Jacke in Tutzing getauscht hast. Ich habe dich schon erkannt, als du auf unseren Hof zum Plündern kamst.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Paula hätte dich erschießen sollen. Dass ein Mörder so dreist sein kann, auf den Hof seiner Opfer zu kommen! Was wolltest du uns denn noch stehlen, nachdem du uns schon das Liebste genommen hast? Ich verstehe nicht, warum Paula nicht abgedrückt hat. Als ob ein Mörder in Unterhosen kein Mörder bleibt.«
    Mit dem Fuß verrieb sie bedächtig den Spuckefleck auf dem Boden. Martin zählte unterdessen die Frauen auf den Fotografien.
    »Die letzte Nacht wollte ich dich dann erdrosseln, wie du auf der Bank gelegen hast. Mit einem Strick, mit dem man Ochsen zur Schlachtbank zerrt. Und was habe ich gemacht? Bewacht hab ich dich! Aber du wirst baumeln, hin und her mit den Füßen, hin und her, das verspreche ich dir!«
    Sie drehte sich auf dem Absatz um und warf die Tür hinter sich zu. Martin fuhr mit den Fingern die Einkerbungen in den Bettpfosten nach. An einer Kante blieb er hängen und riss sich einen Fingernagel ein. Eine Minute später ging die Tür wieder auf. Anne war jetzt ruhig, sie bemühte sich zumindest, so zu wirken.
    »Meinst du, ich hätte dich auch nur eine Sekunde für einen Amerikaner gehalten? Deine dreisten Lügen, du meinst doch nicht, dass du damit bei mir durchkommst?«
    »Wie wäre es denn erst mal mit Frühstücken?«, fragte Martin sanft. »Gegen selbst gemachtes Zwetschgenmus hätte ich nichts einzuwenden.« Er bedachte sie mit einem strahlenden Lächeln.
    »Ich werde dich anzeigen und du wirst einen Prozess bekommen. Und deine Kumpane sollen ebenfalls hängen. Alle sollen hängen, darauf könnt ihr euch …« Ihre Stimme wurde immer schriller, überschlug sich fast.
    Martin hatte genug. »Verkauf erst einmal deine gestohlenen Fahrradschläuche am Sendlinger Tor, bevor du hier die Richterin spielst.«
    Sie starrte ihn mit offenem Mund an.
    »Woher … woher weißt du?«
    »Es interessiert mich immer sehr, worauf ich liege. Und ich hatte die ganze Fahrt bis zu eurem Hof Zeit, mir die Säcke mit den inner tubes anzusehen. Die müssen viel wert sein.«
    »Weißt du überhaupt, wie schwer es ist, in diesen Zeiten zu überleben?«
    »Wahrscheinlich wirst du mir nicht glauben, mein Kätzchen, aber ich weiß es.« Für wie naiv hielt sie ihn eigentlich? Aber Anne hatte ihm gar nicht zugehört.
    »Für einen Fahrradschlauch gibt es 150 Zigaretten, für 150 Zigaretten 300 Mark, für 300 Mark fünf Kilo Brot. Das kann ich dann weiterverkaufen für …«
    »Das Brot gibt es jetzt zum Frühstück.« Wenigstens hatte er sie abgelenkt. »Die Zeiten sind schlecht, und jeder muss schauen, wo er bleibt. Such dir deine Mörder, und räche dich, wenn du das brauchst. Aber verdächtige nicht alle, die dir über den Weg laufen.« Diese Frau legte es darauf an, dass man ihr sagte, was sie zu tun hatte. »Und jetzt sei friedlichund mach uns ein Frühstück. Ich habe Hunger und

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