Der erste Sommer
ihre Tanzpartner.
»Ich sag’s Ihnen, wie es ist«, sagte er und trat zur Seite. »Es ist unmöglich, ein passendes Schloss aufzutreiben. Ich bin nicht für das Schlangestehen gemacht. Wissen S’, ich werde dann nervös. Frauen sind da von Natur aus begabter.«
»Faul sind sie, die Männer.«
»Ach Sie, wir waren im Krieg, wir müssen uns ausruhen.« Der Hausmeister zog den Rotz in der Nase hoch.
»Die wenigen, die es überlebt haben …«, sagte Anne und sah auf die Uhr. »Ich muss los.«
»Machen Sie sich keine Gedanken wegen des Schlosses. Ich passe sehr genau auf, wer unser Haus betritt. Da muss jemand erst einmal an mir vorbei.«
Anne knöpfte sich den Mantel zu und verließ das Haus.
Das Tanzlokal in der ehemaligen Metzgerei hatte seine besten Tage schon gesehen. Nur noch wenige Frauen verbrachten hier ihre Abende. Getanzt wurde kaum noch wegen mangelnder Partner. Trotzdem spielte wochentags die dreiköpfige Kapelle. Weder der ehemalige Beamte mit dem Kontrabass noch der Amerikaner am Saxophon waren in ihren Bemühungen, die Englischlehrerin am Klavier zu erobern, im vergangenen Monat weitergekommen.
Auf einem kleinen Ofen hinter dem Podium der Musiker dampfte ein Kessel mit kochendem Wasser. Die Frauen brachten sich ihren Tee oder Kaffee selbst mit wie Anne.
»Sie kommen oft zu uns, die letzten Tage waren Sie jeden Abend hier«, sprach die Englischlehrerin sie an, als sie sich gerade eine Tasse einschenkte. »Ich beobachte unsere Gäste genau.«
»Ich würde gerne den ganzen Sommer hier verbringen. Zumindest die Nächte. Ich könnte ununterbrochen tanzen«, antwortete Anne.
»Hier ist man gut aufgehoben.« Die Englischlehrerin blickte versonnen auf die Rücken der beiden Musiker, die ihre Instrumente reinigten, um sich nicht miteinander unterhalten zu müssen.
»Man merkt, dass die beiden an Ihnen hängen«, stellte Anne anerkennend fest und ließ den Blick einmal durch den Raum schweifen. »Schade, dass kaum mehr andere Männer hier sind.«
»Ach, wissen Sie, wenn einen keiner liebt, ist es nichts, aber wenn einen zwei lieben, ist es noch viel schwieriger.«
Sie lächelten sich in stillem Einverständnis zu. Die Lehrerin deutete auf den deutschen Kontrabassspieler und anschließend auf den amerikanischen Saxofonisten, der die Hemdsärmel hochgekrempelt hatte, um seine Tätowierungen zu zeigen.
»Mit dem einen hätte ich eine Zukunft, aber keine Gegenwart, und mit dem anderen eine Gegenwart ohne Zukunft.«
»Sie haben Recht, beides muss beisammen sein. Mein Verlobter –« Anne stockte.
»Es ist gut, dass Sie nicht mehr Schwarz tragen. Sie sind eine hübsche junge Frau. Man kann sich nicht für alle Ewigkeit wegsperren, wenn die Liebe um einen herum ist und der Sommer.«
An einem kleinen Tisch leerte eine Frau aus ihrer Schürzentasche verrostete Nägel aus. Sofort bildete sich ein Kreis Kauflustiger um sie.
»Was machen Sie tagsüber?«, fragte Anne die Klavierspielerin.
»Ich unterrichte Englisch. Der Bedarf ist riesig.« Die Lehrerin setzte ihre Tasse ab.
»Oh, ich möchte auch Englisch lernen.«
» Love is the most beautiful of dreams and the worst of nightmares .«
»Das klingt wunderschön«, himmelte Anne sie an. »Ich spreche nur ein paar Brocken und würde das gerne verbessern. Bayern gehört jetzt praktisch zu Amerika. Wenn es nicht wieder Krieg gibt. Dann müssen wir alle auf Russisch umsatteln.«
Die Englischlehrerin nippte an ihrem Tee. »Und was machen Sie, ich meine, außer zu überleben?«
»Ich komme vom Land, vom Starnberger See.« Anne strahlte sie an. »Mit meinem Verlobten wollte ich in München ein Geschäft eröffnen, wir sind extra hergezogen, mitten nach Schwabing. Dann kam der Krieg … Aber ich schaffe es auch alleine.«
»Da haben Sie Recht. Man schafft es auch alleine. Man muss es. Kommen Sie doch morgen wieder. Ich gebe Ihnen in der Pause eine kostenlose Lektion, wenn Sie mir ein bisschen Tee mitbringen. Nun muss ich aber wieder. Die Pflicht ruft.« Sie stieg mühsam die zwei Stufen zu dem Podest hoch und hielt sich dabei an dem Klavier fest. Die beiden Musiker streckten ihr hilfsbereit die Hände entgegen. Sie griff sie und ließ sich von den Kavalieren zu ihrem Hocker begleiten. Bevor sie die Hände auf die Tastatur legte, blinzelte sie Anne einmal zu.
19
»Hast du die Scheine?« Ferdinand blieb unruhig in der Tür stehen. Heute hatte er keine Zeit für ihre Spiele, wie Gudrun es nannte. Er hatte ein Geschenk für Katharina entdeckt, das sie
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