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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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nichts führt. Ich weiß, wie du den Leopold in die Stadt getrieben hast. Wir vom Land gehören hier nicht her. Das geht nie gut aus für unsereins.«
    Anne schüttelte energisch den Kopf und presste die Lippen fest zusammen. Nun riss auch Paula die Geduld.
    »So dankst du uns also? Hast du vergessen, was Leopold für dich getan hat? Wie er dich aufgenommen hat, obwohl dir ein solcher Ruf vorausgeeilt ist. Weil du nicht Acht gebenkonntest mit den Männern! Und er hat alles gesehen und hat dich doch nicht davongejagt. Was für eine Verlobung, von Liebe keine Spur.« Paula fuchtelte erregt mit den Armen. Dabei stieß sie den Topf um. Die Brühe verteilte sich zwischen ihren Schuhen. »Was soll’s? Es ist nichts mehr zu ändern.« Sie bekreuzigte sich. »Denk dran, Anne. Das Gewissen ist immer stärker. Irgendwann holt es uns ein. Erst dann lässt sich Frieden schließen.«
    »Irgendwann, ja«, wiederholte Anne und nickte. »Irgendwann.«

17
    »Wo ist Mama?«
    Ewald ließ die Klinke zum Badezimmer wieder und wieder hochschnellen.
    »Sie sucht Papa, das weißt du doch«, antwortete sie mechanisch, ohne von ihrem Buch aufzusehen. Aus gutem Grund hatte ihre Mutter Angst, dass er zurückkäme, und hielt sich deswegen versteckt. Dabei konnte sie sich auf Katharina verlassen. Sie hätte ihrem Vater auf keinen Fall von dem Mann erzählt, den sie im Luftschutzkeller kennen gelernt hatten. Zumal sich Katharina sicher war, dass er mehr an ihr interessiert war. Was wollte ein so gut aussehender Mann von einer verheulten alten Frau wie ihrer Mutter? Nach dem ersten Alarm brachte der Fremde alle drei bis zur Wohnungstür, beim nächsten Ewald bis zu seinem Zimmer, und beim dritten blieb er, angeblich um Mutter zu trösten, die ganze Nacht in deren Schlafzimmer. Als ob sie nicht bis vier zählen könnte. Zu allem Überfluss hatte sie durch das Schlüsselloch mit eigenen Augen beobachtet, was der Mann unter Tröstenverstand … Es war widerwärtig. Mit derlei Unappetitlichkeiten würde sie sich niemals abgeben.
    Katharina sah versonnen auf Ewald, der immer noch gelangweilt mit der Tür herumspielte.
    »Geh nach draußen! Ich muss arbeiten.«
    Summend trollte sich Ewald mit seiner Angel davon. Bestimmt lauschte Sophie wieder an der Tür. Aber Katharina war zu müde, um nachzusehen. Sophie. Die immer nur ans Essen dachte und ihr jeden Bissen neidete, der ihr als Ferdinands persönlicher Gefangener doch wohl zustand. Keine Dame benahm sich so. Keine echte Dame. Die Augen fielen ihr zu und Katharina nickte in dem Sessel ein.
    Als sie aufwachte, stand Ferdinand vor ihr. In schwarzen Kniebundhosen und einem dunkelblauen Hemd, das weit offen stand.
    Fast jeden Abend brachte er ihr etwas vorbei. Sie sammelte seine Geschenke in einer Hutschachtel unter ihrem Bett. Am Abend nach ihrer Gefangennahme war es eine Feder gewesen. Mit spitzer Zunge hatte sie ihn gefragt, ob sie sich die Feder an den Hut stecken sollte, wenn sie gemeinsam in die Oper gingen. Er hatte nur gleichgültig mit den Achseln gezuckt. »Von mir aus kannst du dich damit am Arsch kratzen.« – Nie mehr wollte sie daraufhin ein Geschenk von ihm annehmen. Zwei Tage später, es musste ein Sonntag gewesen sein, hing an der Tür ein mindestens sechs Jahre altes, steinhartes Lebkuchenherz vom Oktoberfest. Wollte er, dass sie sich die Zähne daran ausbiss? Sie erwähnte ihm gegenüber das Herz mit keinem Wort. Drei Tage vergingen ohne Geschenk. Er tat das nur, damit sie ungeduldig würde. Dessen war sie sich sicher. Den Gefallen würde sie ihm nicht tun. Dennoch war sie erleichtert, als sie am nächsten Morgen eine Schachtel mit Kopfschmerztabletten fand. Hatte Ewald ihm von ihren Schmerzen erzählt?
    So vergingen die ersten Wochen ihrer Geiselhaft. Wieder eine Woche später begann Katharina, ihre Wünsche über Ewald an ihn auszurichten. Er kannte nicht einmal ihre Kleidergröße, wenn sie nicht nachhalf. Das Gewünschte brachte er nicht sofort, aber sie konnte sicher sein, es spätestens am dritten Tag vor ihrer Tür zu finden, wie teuer es auch sein mochte. Nachdem er ihr ein besticktes Taschentuch gebracht hatte, fragte sie ihn, woher er die Geschenke habe. Er antwortete knapp, wie es seine Art war: »Ich bin ein Räuber.« Ihr imponierte, dass er die Sachen unter Einsatz seines Lebens für sie stahl. In den Nächten malte sie sich seine Abenteuer in den grellsten Farben aus. Ihn danach zu fragen, verbot sich von selbst. Eine Dame dürfte sich nie die Finger mit

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