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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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dringend deinen Schutz, sonst vergehe ich vor Angst«, flüsterte sie so laut, dass man es dennoch bis auf die Straße hören konnte. »Ich fühle mich wie eine Verbrecherin.«
    Ferdinand versuchte vergeblich, sie abzuschütteln.
    »Wenn du mich nicht sofort küsst, muss ich schreien. Ich mache mir gleich in die Hosen.«
    Mühsam entwand er sich ihrer Umklammerung. Es klopfte. Ferdinand und Gudrun erstarrten.
    »Ist da wer?«, fragte eine tiefe Männerstimme.
    Ferdinand verkroch sich blitzschnell unter einen Tisch. Die Tür öffnete sich. Mit einer Kerze in der Hand stand der Eigentümer der Druckerei im Eingang. Verblüfft wandte er sich an Gudrun:
    »Was machen Sie hier mitten in der Nacht?«
    »Ich tue nur meine Pflicht. Wo es doch überall so schmutzig ist.« Sie griff nach dem Besen, der hinter ihr in der Ecke lehnte, und kehrte hektisch Papierreste zusammen. »Wissen Sie, Herr Gärtner, ich will meine Arbeit nicht verlieren. Wenn Sie mich nicht weiter beschäftigen, ich glaub, ich müsst mich umbringen.« Ihre Stimme klang so zittrig, dass er auf sie zutrat und begütigend die Hand auf den Besen legte.
    »An Ihrer Tauglichkeit zweifelt doch niemand. Ohne Sie wäre der Saustall gar nicht mehr auszuhalten.« Er trat noch näher an sie heran. Sein Schnauzbart kitzelte sie am Ohr. »Aber anlügen müssen Sie mich deswegen nicht. Ehrlich zehrt am schnellsten, sagt man. Ich hab vollstes Verständnis, wenn Sie sich mit dem Bengel ein ungestörtes Plätzchen suchen. Man hat kaum mehr einen Rückzugsraum.«
    »Obwohl wir zu viert in der Hütte leben, habe ich mich noch nie so einsam gefühlt«, bestätigte Gudrun. Seine tiefe Stimme rührte etwas in ihr an. Bisher hatte sie Herrn Gärtner nie als Mann wahrgenommen, nur als ihren launischen Vorgesetzten …
    Er räusperte sich. »Ich habe nichts dagegen, wie gesagt. Im Gegenteil. Ich bin in dieser Hinsicht seit Verdun eingeschränkt tauglich. Aber Zuschauen bietet eine Entschädigung, wenn ein so schönes Mädel wie Sie –«
    »Sie Armer!«, warf Gudrun ein.
    »Lassen Sie sich also nicht stören, tun Sie so, als wäre ich nicht da, und zeigen Sie dem Bengel, was wir zwei in dieser Druckerei leisten können.«
    Er gab ihr einen übermütigen Klaps auf den Hintern und blies die Kerze aus. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, ging er zu dem Tisch und zog Ferdinand an den Füßen bis zur Hüfte vor. Dieser rührte sich nicht.
    »Also packen wir’s. Mach seine Hose auf!«
    »Ich tu’s aber nur, um die Stelle bei Ihnen nicht zu verlieren«, log Gudrun kokett und nestelte an Ferdinands Gürtel herum. Schlagartig wurde diesem klar, was die beiden vorhatten. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn.
    »Nimm ihn in den Mund«, flüsterte Gudruns Chef und kniete sich neben den Tisch auf den Boden.
    Schmatzend vergrub sie ihr Gesicht in Ferdinands Schoß. Der umklammerte mit den Händen die Tischbeine hinter sich und konzentrierte sich auf Katharinas Geschenk. So viel hatte ihn noch keines gekostet.

20
    Im Schaufenster der Bäckerei klebte ein Zettel. In Sütterlinschrift stand darauf gekrakelt: »An Polen wird Kuchen nicht abgegeben.« Das Wort ›nicht‹ war doppelt unterstrichen. Doch selbst für Münchner gab es keinen Kuchen, für niemanden. Schon seit Monaten nicht mehr.
    Die beiden Frauen in der Schlange vor Anne trugen biedere Kopftücher und trotz der Hitze lange dunkle Übergangsmäntel. Sie waren gleich groß und unterschieden sich nur durch den extremen Unterschied ihres Leibesumfangs. Anneschätzte sie auf Anfang dreißig, auf alle Fälle jünger als sie selbst. Lautstark unterhielten sie sich über die Blähungen nach dem Verzehr von Brennnessel-Spinat, über die abführende Wirkung von Eichelkaffee und die Schmerzen einer Freundin, die ihren Salat mit auf dem Schwarzmarkt erstandenem Torpedoöl angemacht hatte.
    Ein amerikanischer Soldat sprang von einem in Schrittgeschwindigkeit fahrenden Jeep. Mit einer fordernden Geste verlangte er Kennkarten und Bezugsmarken und verglich sie umständlich. Die beiden Frauen in den Mänteln lächelten ihn so aufreizend an, dass er errötete und ihnen hastig die Papiere zurückgab. Während der Soldat auf Annes Papiere starrte, sagte die Schmalere der beiden deutlich vernehmbar:
    »Wäre ein lecker Kerlchen, aber bei dem weiblichen Überangebot hier revanchiert sich der höchstens mit ’ner Dose Sardinen. Und mir kommen die zu den Ohren raus. Aber schnieke Uniform.«
    »Nackt sind sie alle gleich«,

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