Der erste Sommer
Handgranate in die Hosentasche zu den Schussern.
Gestern war er zu Hause gewesen. Das hatte er Katharina nicht erzählt. Sie würde sonst nur wieder über ihre Eltern schimpfen. »Vaterlandsverräterin«, nannte sie ihre Mutter. Ein lustiges Wort. An der Straßenecke hatte er auf ein Wunder gehofft. Er hatte die Augen fest zusammengekniffen und bis sieben gezählt. Sieben war seine Glückszahl. Doch als er die Augen wieder geöffnet hatte, lag das Haus immer noch in Trümmern. Also war er wieder gegangen.
Von einem Augenblick auf den anderen hatte Ewald keine Lust mehr auf Krieg. Sitzend liquidierte er seine Armee,ohne ein einziges Mal danebenzuschießen. Aus den Steinen würde er morgen sein eigenes Haus bauen. Hier im Hinterhof, geschützt vor Angriffen. Ein Haus mit einem eigenen Garten, einem Zimmer für seine Eltern und ganz tief im Keller einen Raum ohne Fenster für seine Schwester.
22
Die amerikanischen Soldaten lagen dicht an dicht auf ihren Uniformjacken. Dauernd stieß irgendeiner den anderen an. Einige waren nackt bis auf ihre Erkennungsmarken. Die Verschämteren trugen Bermudas und ein Unterhemd, ein paar besonders käsig bleiche Kameraden saßen angezogen im Schatten unter einer Eibe und spielten Karten. Alle wussten, dass sie unter Beobachtung standen. Kaum unterdrücktes Kichern drang zu ihnen. Deswegen schubsten sie zurück und gaben den starken Mann. Alles für die deutschen Mädchen, die vor dem löchrigen Holzzaun des Ungerer Bades herumlungerten.
Auf einem freien Rasenstück boxten zwei besonders athletische Typen. Es ging weniger darum, den Stärkeren zu bestimmen, als um die Frage, wer die lauteren Anfeuerungsrufe hinter der Bretterwand bekam. Noch war allerdings kein Sieger auszumachen. Während des Wettstreites schritt ein korrekt bekleideter Corporal vor dem Zaun auf und ab. Die braune Krawatte hatte er ins Hemd gesteckt. Plötzlich blieb er stehen und stierte zwischen zwei Latten direkt ins Auge eines jungen Mädchens, das auf der anderen Seite entsetzt zurückwich. Laut lachte er auf und pfiff. Die beiden Boxer warfen sich daraufhin vor dem Zaun in Positur und ließen ihre Oberarmmuskeln spielen, bis auf der anderen Seite zunächst zaghafter,dann immer lebhafterer Beifall aufbrandete. Währenddessen hatten drei baumlange Kerle mehrere Kübel mit Wasser gefüllt und stiegen ein paar Meter entfernt auf herumstehende Stühle. Auf einen weiteren Pfiff des Corporals hin gossen sie den freudig aufquietschenden Mädchen auf der anderen Seite das Wasser über die Köpfe. Die in einem unergründlichen Sprachenwirrwarr geführten Entschädigungsverhandlungen für die nasse Kleidung wurden mit der klaren Anweisung des Corporals beendet:
» Come in! «
Die Amerikaner zogen sich in aller Eile ihre Unterhosen an und brachen zwei lose Planken aus dem Zaun. Mit lautem Gejohle hießen sie die Frauen willkommen. Nun wäre es an den Neuankömmlingen gewesen, die Sittsamen und Unnahbaren zu geben. Aber das kühle Wasser in dem Becken lockte zu sehr. Sie sahen sich an, eine zählte bis drei, und sie begannen, sich unter dem Applaus der jungen Männer bis auf ihre unter den leichten Sommerkleidern verborgenen Badeanzüge auszuziehen. Alles folgte dem bekannten, täglich sich so oder so ähnlich wiederholenden Ritual des Sommers.
Anne wollte sich zumindest die dunkle Bluse etwas weiter aufknöpfen, doch Ilse packte sie am Handgelenk und flüsterte:
»Warte! Alte Indianerregel. Wer sich als Erstes auszieht, zieht sich auch als Erstes wieder an.« Sie bemerkte Annes verständnislosen Blick. »Du musst aus dem Ausziehen eine Tugend machen. Pass auf«, und laut flötete sie in die grinsend ihr zugewandten Männergesichter: » We are so hot, so hot hier! «Dabei fächelte sie sich mit beiden Händen Luft zu, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen.
»Und die zweite Grundregel ist«, kommentierte Inge den Auftritt ihrer Freundin, »dass dir in jeder Sekunde klar sein muss: das hier ist kein Spiel, sondern harte Arbeit.«
Sie zogen Anne mit unter die Eibe und setzen sich auf eine mitgebrachte Luftschutzkellerdecke. Die Beine schlugen sie verschämt übereinander und zogen die Aufschläge ihrer Übergangsmäntel züchtig darüber, so weit es eben ging. Von dort beobachteten sie, wie sich die anderen Frauen und Mädchen – die meisten waren noch nicht einmal volljährig – schnatternd Richtung Schwimmbecken treiben ließen.
»Diese Luder«, bemerkte Anne, der das Abgekartete der Situation allmählich
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