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Der erste Tod der Cass McBride

Der erste Tod der Cass McBride

Titel: Der erste Tod der Cass McBride Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Giles
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Wartete. Wasser tropfte herab. Auf meine Nase. Ich schob mich ein wenig weiter nach oben, Richtung Kopfende, leckte das Wasser ab, das von der Nase rann. Dann öffnete ich den Mund für das Rinnsal, das auf meine Zunge tröpfelte. Ich saugte das Wasser mehr ein, als dass ich es trank, meine Zunge nahm es auf wie ein Schwamm, nur dass sie dabei nicht anschwoll, sondern schrumpfte. Dann sickerte das Wasser in meinen Mund und benetzte endlich auch meine Kehle. Ich schluckte nur zwei- oder dreimal, bevor das Tröpfeln nachließ und schließlich ganz versiegte.
    Es würde meinen Körper nicht vor der Austrocknung retten, aber zumindest konnte ich wieder sprechen. Der Punkt ging an Kyle. Er hatte dieses Gefecht haushoch gewonnen.
    Wenn ich hart daran arbeitete, gelang es mir vielleicht, mehr Wasser zu bekommen, aber damit würde ich ihm noch größere Macht einräumen. Das konnte ich mir nicht leisten. Ich verstand es, das Endziel über kurzfristigen Siegen im Kopf zu behalten.
    Aus der Kiste rauskommen.
    Aus dieser Kiste rauskommen.
    Und ihn dann fertigmachen.
    Das Licht erlosch. Aber zuvor gelang es mir noch, im schummrigen Halbdunkel einen kurzen Blick auf mich zu erhaschen. Ich hatte mir Sorgen wegen der Pissflecken gemacht? Mein weißer Schlafanzug war völlig verdreckt, die Knie zerschunden und blutig. Ich vermutete, dass meine Ellbogen in einem ähnlichen Zustand waren, weil ich das Brennen der Schürfwunden spürte. Meine Finger und Knöchel sahen noch schlimmer aus, als es sich angefühlt hatte, und schon danach hätte ich gedacht, dass sie völlig zerfetzt waren. Mein rechter Daumen war in guter Verfassung, das Klebeband sorgte dafür, dass er sicher auf dem Knopf des Funkgeräts ruhte. Er war steif, ja, aber blutete nicht. Ich wollte beim Verlassen der Kiste noch so viel Kraft haben, dass ich dem Typ einen Schwinger verpassen konnte - solange das Funkgerät noch an meiner Hand klebte.
    Ich hatte vorhin einen Gedanken verdrängt. Was war es noch gewesen? Ich konnte nicht denken. Ich trommelte mit den Fersen gegen das Holz. Schmerz. Etwas Feuchtes, Glitschiges. Blut?
    Der Schmerz half mir, meine Aufmerksamkeit wieder etwas zu bündeln. Kyle. Wenn ich hier lag, weil ich seinen Bruder verletzt hatte und er sein Beschützer und Rächer war, wie war es dann möglich, dass ich nicht einmal mitbekommen hatte, dass es einen Bruder gab? In der neunten Klasse hatte ich Kyle die ganze Zeit observiert. Wenn sich die beiden nahestanden, hätte ich sie doch mal zusammen sehen oder irgendwas mitbekommen müssen.
    Warum war David so ein Geheimnis?
    Hatte Kyle David wie einen lästigen Pilz behandelt und jetzt Schuldgefühle?
    Aber da gab es auch noch die Horror-Mom.
    Musste er David heimlich beschützen, um die Horror-Mom an seiner Seite zu halten? Damit sie ihn nicht verließ, wie es sein Vater bereits getan hatte?
    Und wenn er Kyle der Beschützer war und er und David sich so nahestanden, dann gab es da die eine Frage, auf die ich eine Antwort wollte: Warum ich? Wenn David Kirby ein Mensch war, bei dem Zurückweisung Selbstmordgedanken weckte, warum hatte er dann ausgerechnet mich um ein Date gebeten? Und warum hatte Kyle das zugelassen? Ich habe ja nun nicht gerade den Ruf einer barmherzigen Samariterin.
    Einmal bat ich auf einer Party meinen Begleiter, mir noch etwas zu trinken zu holen, und er antwortete: »Gewiss, Eure Überheblichkeit.« Im Raum wurde es schlagartig still und die Leute starrten uns an. Ich zögerte nicht, sondern erwiderte: »Eure Königliche Überheblichkeit, wenn ich bitten darf, und verbeuge dich, wenn du mit mir sprichst, Bauer.« Natürlich rundete ich das mit der Nummer mit dem Grübchenlächeln & schief gelegtem Kopf und einem Augenaufschlag ab, aber ...
    Welches mimosenhafte Wesen würde mir freiwillig eine Angriffsfläche bieten? Wenn David so dumm war, sich an mich heranzuwagen, konnte ich dann ahnen, dass er mit einem Strick um den Hals herumlief und nach einem passenden Ast suchte?
    Ich musste vielleicht sterben, aber ich würde wütend sterben.
    DAS.
    WAR.
    NICHT.
    MEINE.
    SCHULD.
    Es war an der Zeit, zur Sache zu kommen und den Deal mit Kyle zum Abschluss zu bringen.
    »Du hattest dein Wasser. Kannst du jetzt sprechen?«
    »Ja, das kann ich.« Ich sagte es sanft, aber bestimmt, nahm wieder meine Position ein. »Die Frage ist, ob du zuhörst.«
    Nichts.
    Dann: »Wie meinst du das?«
    »Ich komme darauf zurück. Zunächst habe ich eine entscheidende Frage an dich: Warum bin ich hier? Und

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