Der erste Verdacht
selbst«, antwortete Åhlén und deutete mit einer ausladenden Geste auf die Leiche.
Das Opfer war schlank und trug einen dunklen Anzug. Die Stirn wies eine Schussverletzung auf, und der Kopf lag in einer Blutlache. In einigem Abstand von der Leiche lagen die Splitter eines Glases, und im Zimmer schwebte unverkennbar Whiskygeruch.
»Er ist schon etliche Stunden tot. Die Leichenstarre ist bereits vollständig eingetreten«, fuhr der Mann von der Spurensicherung fort.
»Hingerichtet mit mindestens zwei Schüssen in den Kopf«, stellte Tommy fest.
Irene war erstaunt, dass Kjell Bengtsson Ceder so viel älter als seine Ehefrau gewesen war. Obwohl ein gewaltsamer Tod die Menschen nur in den seltensten Fällen schöner macht, war zu erahnen, dass er sehr gut ausgesehen haben musste. Das blutverkrustete Haar war dicht und stahlgrau. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, und sie wusste, wer er war: der Restaurantkönig Göteborgs. Da Irenes Mann Küchenchef eines Konkurrenzunternehmens war, hatte sie Ceders Namen schon öfters gehört. Krister arbeitete im Glady’s Corner, einem der besten Restaurants Göteborgs, ausgezeichnet mit einem Stern in einem internationalen Restaurantführer. Die beiden anderen Lokale mit Stern gehörten Kjell Bengtsson Ceder. Das eine lag im 28. Stockwerk des Hotel Gothenburg. Es war das größte Hotel der Stadt und befand sich ebenfalls in Ceders Besitz. Wenn Irene im Büro ihres Chefs Sven Andersson aus dem Fenster schaute, konnte sie seine imposante Silhouette sehen. Etwas weiter in südwestlicher Richtung standen die Zwillingstürme Gothia Towers beim Messegelände. Auch hier gab es ein Hotel und Restaurants, die wichtigste Konkurrenz des Hotel Gothenburg.
»Die Stridner hat versprochen, gleich höchst selbst zu erscheinen. Ich glaube, sie ist gerade im Anmarsch«, teilte Åhlén mit.
Irene und Tommy hatten das energische Geklacker von Absätzen auf Steinboden ebenfalls gehört. Nur die Professorin in Gerichtsmedizin Yvonne Stridner bewegte sich an einem Tatort in diesem Tempo.
Sie rauschte in den gläsernen Anbau, stellte ihre Tasche ab und ließ ihren Blick rasch über den Ort des Geschehens schweifen. Ohne einen der Polizisten zu begrüßen, sagte sie laut vor sich hin: »Ist er wirklich ermordet worden?«
Dem Mann von der Spurensicherung und den beiden Kriminalinspektoren blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen. Die Frau Professor fragte sonst nie, sie neigte in der Tat eher dazu, unerschütterliche Behauptungen aufzustellen oder Kommandos zu erteilen.
»Mit zwei Kugeln erschossen«, lautete Åhléns lakonische Antwort.
Ohne weiteren Kommentar zog Frau Professor Schutzkittel, Handschuhe und Schuhschutz an. Typisch, dass sie die Schutzkleidung nicht schon bei Betreten des Hauses anlegt, dachte Irene.
Nonchalant warf die Stridner ihren Mantel über einen Stuhl aus schwarzeloxiertem Stahl mit einem Sitz- und Rückenpolster aus weißem Leder. Vielleicht war er bequemer, als er aussah. Im Zimmer standen noch fünf weitere solcher Stühle sowie ein Tisch aus Stahl. Über dem Tisch hing ein Kronleuchter, der zu den Möbeln passte.
Die Stridner ging auf das Opfer zu und begann mit ihrer Arbeit. Tommy stieß Irene mit dem Ellbogen an und sagte: »Komm. Wir versuchen noch mal, mit Sanna Kaegler-Ceder zu reden.«
Irene nickte. Hier konnten sie ohnehin nichts mehr ausrichten. Solange die Leiche noch da lag, konnten sie auch nicht die Wendeltreppe hochgehen und sich das Obergeschoss ansehen.
Sanna Kaegler-Ceder saß immer noch auf demselben Stuhl, wenn auch nicht in derselben Haltung. Sie hatte den Sessel zur Fensterwand, an der der Regen herablief, gedreht und starrte nach draußen in die zunehmende Dämmerung. Der kleine Junge schlief noch immer tief und fest in seiner Babywippe, in glücklicher Unkenntnis, dass er gerade vaterlos geworden war.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrer Trauer stören muss. Ich heiße Tommy Persson und bin Kriminalinspektor. Glauben Sie, dass Sie mir ein paar Fragen beantworten können?«
Sie bewegte sich nicht, sondern starrte weiter in das ungemütliche Herbstwetter hinaus. Als sie die Hoffnung bereits aufgegeben hatten, zu ihr durchzudringen, hob sie langsam den Kopf. Tommy deutete das als Nicken und schob rasch eine Frage nach, bevor sie ihre Entscheidung bereuen konnte: »Wann sind Sie nach Hause gekommen? Und wann haben Sie die Leiche Ihres Mannes gefunden?«
Sie schluckte einige Male, bevor es ihr endlich gelang, die Antwort
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