Der erste Versuch
Praktiken der Agentur. Milan war ein
solcher Fall bekannt. Der Betreffende hatte nicht lange
überlebt, was allgemein als rechtens empfunden wurde.
Milan Nowatschek bestellte ein Aerotaxi, das in wenigen
Minuten bereit stehen würde, begab sich aufs Dach des
Bürohauses, in dem auch der Stützpunkt der Agentur
untergebracht war, und startete in Richtung Ortheim.
Überrascht war er schon ein wenig, als ihm mitgeteilt wurde,
er möge sich sofort bei Cathleen Creff melden.
Die Creff galt im Allgemeinen als die rechte Hand des Chefs,
und sie wurde mit dem gleichen Respekt behandelt wie er.
Keinem war bekannt, wie sie in diese Stellung geraten war,
aber ihr Image als äußerst harte, erfolgreiche Mitarbeiterin
hatte sie sich selber erworben. Aktionen, die sie leitete, waren
bislang stets gelungen, und diejenigen der Agentur, die
mitgewirkt hatten, waren der Hochachtung voll. Allerdings
stellte sie höchste Anforderungen an Disziplin und Leistung.
Ihren leichten Gehfehler, so munkelte man, habe sie einer
Schießerei mit einer konkurrierenden Gruppe zu verdanken.
Dass sie den allerdings geringfügigen Fehler nicht korrigieren
ließ, sprach im Allgemeinen für sie. Eitel war sie demnach
nicht. Am Ort unterhielt sie eine kleine Wohnung. Private
Kontakte mit den Kollegen mied sie absolut. An freien Tagen
verschwand sie regelmäßig aus der Stadt. Spekulationen um
ihre Person hatten sich längst gelegt.
„Also zur Creff!“ Jetzt hatte sich Milans doch eine gewisse
Spannung bemächtigt. Die erste Wiederbegegnung nach zwei
Jahren… Er suggerierte sich Ruhe, meldete sich an und betrat
nach der Aufforderung den Arbeitsraum der Creff, der eher
einem modernen Wohnzimmer glich. Nur die Flucht von vier
Monitoren, dem Kommunater gegenüber angeordnet,
verwischte diesen Eindruck.
Cathleen Creff ruhte entspannt in der Ecke des breiten Sofas,
und sie richtete sich nur mäßig auf, als der Mann, Emzwei,
eintrat. Sie grüßte ohne eine Regung des Wiedersehens:
„Hallo, Milan“, wies auf den Sessel ihr gegenüber und lehnte
sich wieder zurück. Ihr Kleid hatte sich nach oben verschoben,
sodass unterhalb des linken Knies eine rosafarbene, breite
Narbe sichtbar wurde.
„Kaffee?“, fragte sie geschäftlich, und als er ein klein wenig
verwirrt bejahte, setzte sie die Tischautomatik in Gang.
„Du bist in der Agentur groß geworden?“, fragte sie
routinehaft, obwohl ihr natürlich der unkomplizierte
Lebensweg ihres Besuchers bekannt war.
„Ja, ja – seit ich mich erinnern kann.“ Milan räusperte sich,
lehnte sich zurück. „Okay“, dachte er, „dann eben so, wie sie
es will, sie ist der Boss!“ Aber er gestand sich ein, dass er sie
nach wie vor außerordentlich anziehend und ihre
Entscheidung, vergessen zu haben, was war, sehr bedauerlich
fand.
„Verstehe – aber ab heute ist es anders. Ich übergebe dir
diese Mappe.“ Sie reichte ihm das Behältnis, das neben ihr auf
dem Sitzmöbel gelegen hatte, über den Tisch. „Darin findest
du alles über deine neue Identität. Das lerne bitte gründlich!
Du verstehst, dass wir vor dem – Ernstfall kontrollieren.“
Milan nickte. Bekanntes Schema, nichts, was einen aufregen
konnte. Er schlug die Mappe auf, überflog die erste Seite,
schlürfte an seinem Kaffee und fragte nach einer Weile: „Gibt
es ihn wirklich, diesen anderen Milan?“
Natürlich wusste man, dass in der Agentur auch mit Klonen
gearbeitet wurde
– verbotenerweise. Aber wen störte das
schon. Je mehr Licht auf das Kapital fiel, desto mehr gerieten
Gesetze in den Schatten. Und Kapital musste, weiß Gott, in
dieser Agentur vorhanden sein.
„Drüber bin ich nicht informiert“, log sie und blickte an ihm
vorbei. „Aber es ist unerheblich. Sollte es ihn geben, wird er
dir nicht in die Quere kommen. Du weißt, dass du auf uns
bauen kannst.“
Einen kleinen Augenblick faszinierte Milan der Gedanke
schon, dass es ihn ein zweites Mal geben könnte und dass der
zweite Milan jener in der Mappe war, sein Zwillingsbruder
sozusagen. Aber einen solchen möglicherweise zu haben,
berührte ihn emotional nicht. Außerdem konnten die Daten
von sonst wem stammen. „Und was ist das für ein Ernstfall?“,
fragte er.
Statt einer Antwort schenkte Cathleen Kaffee nach und fragte
wie beiläufig zurück: „Du warst bislang kaufmännisch tätig.
Wie sieht es mit deinen Kenntnissen in Physik aus?“
„Oh“, Milan zeigte sich überrascht. „Physik war eines meiner
Lieblingsfächer. Ich hätte es möglicherweise sogar
Weitere Kostenlose Bücher