Der Esper und die Stadt
Lagen einer Nylonkordel gebunden. Nylon ist so ziemlich das Schlimmste, mit dem man einen fesseln kann. Es läßt keinen Spielraum und gibt auch nicht nach. Man kann nichts dagegen machen. „Das kannst du doch einem Bandenkumpel nicht antun, Weeny. Das ist doch gegen den Eid.“
„Du bist nicht mein Kumpel, du Blödmann. Das warst du nur für drei Tage, du Schwachkopf. Da war unser Versprechen abgelaufen.“
„Wenn ich hier rauskomme, mach’ ich dich alle.“
Weeny kam näher und löste vorsichtig die Kette von den Stäben. „Bevor du freikommst, leg’ ich dich um, du Blödmann. Ich hab’ dich schon vorher gefesselt und zusammengehauen, und da hast du auch nichts dagegen machen können.“
„Was hast du? Ich kann mich nicht dran erinnern.“ Weeny zog sich zurück, stellte sich an die Wand und rollte seine Kette zusammen. Irgendwas von Wichtigkeit war aus seinen Worten zu mir durchgedrungen. Ich hatte sieben Tage übersprungen. Das letzte, an das ich mich deutlich erinnerte, war ein Dienstag, an dem die Bande sich gestritten hatte, während Larry in seiner Verkleidung als älterer Schwarzer draußen gewesen war. Ich suchte in meinem Kopf nach Spuren einer Erinnerung an die letzte Woche.
„Faß dich doch mal an den Rücken, du Blödmann. Das hab’ ich gemacht. Vielleicht fällt dir auch auf, daß dir die Nase weh tut, weil du nämlich auf sie drauf gefallen bist.“ Weeny stand triumphierend da und ließ die Kette durch seine Finger gleiten.
„Ich weiß es nicht mehr“, gab ich zu. „Mittwoch – war das vor sechs Tagen? Was mache ich überhaupt noch hier?“
Weeny grinste mit seinen lückenhaften Zähnen. „Larry hat dich in diesen Käfig gelotst. Hat sich deine ganzen Vierteldollars gepumpt und dich reingeschickt, damit du da drinnen was arbeitest. Blödmann. Wir haben dir so lange nichts zu essen gegeben, bis Larry dir eine präparierte Coke zu trinken gab. Du bist hypnotisiert worden und arbeitest seither ununterbrochen für Larry. Aber wenn ich dir Fragen stelle, sagst du nichts. Und dabei hab ich genausoviel zu sagen wie Larry. Ich kann dir nur raten, daß du auch bei mir das Maul aufmachst, wenn du nicht zu Matsche gehauen werden willst. Glücklicherweise hat er dir heute keine Pillen verabreicht, deswegen bist du auch nicht wie eine seelenlose Maschine auf ihn fixiert. Und jetzt kannst du mich auch reden hören. Du kannst jetzt Angst empfinden und dich erinnern. Und du wirst dich an diese Schläge erinnern und sie nie wieder vergessen.“
Er rollte die Kette in der Hand zusammen und wippte mit den Beinen, um auszuholen. Er war fast drei Meter entfernt.
Ich stemmte mich hoch, kam in eine kniende Stellung und lehnte mich zurück, bis meine Finger die Fußfesseln berührten und anfingen, sich den Knoten vorzunehmen. „Nun warte doch! Was willst du wissen?“
Weeny wollte gerade zuschlagen. Er hielt inne, zögerte, und die Kette sank herab. Langsam rollte er sie wieder mit den Händen auf. „Du hast gar keine Angst. Du willst nur Zeit schinden.“ Die Kette zischte plötzlich von der Seite her auf mich zu und beschrieb einen auf meinen Kopf zielenden Bogen. Die zahlreichen Jahre, in denen ich als Kind in unserer Jugendbande gefährliche Spiele gespielt und von Ahmeds Erfahrung profitiert hatte, trugen jetzt ihre Früchte. So bekannt wie mir die Szene vorkam, so leicht fiel mir ein entsprechendes Ausweichmanöver. Mein Körper straffte sich, bot ihm ein noch besseres Ziel, und in der letzten Sekunde ließ ich mich zur Seite fallen. Die Kette verfehlte mich und wickelte sich um die Stäbe. Weeny zog sie fluchend zurück, und sie landete mit einem Klirren auf dem Boden. Sofort nahm ich wieder eine kniende Position ein und fing an, die Knoten meiner Fußfesseln zu bearbeiten. Weeny war brutal und geladen, aber er war nur ein Anfänger, der sich von der Sucht nach Ruhm antreiben ließ statt von Wissen. Fluchend versuchte er einen harten Schlag gegen meine emsig arbeitenden Finger anzubringen.
Ich ließ den Knoten fahren und zog die Hände zurück. Die Kette fiel über meine Unterschenkel. Ihre Schlagkraft verpuffte größtenteils auf dem Boden. Ich lehnte mich zurück, setzte mich mit dem Hintern auf die glitzernden Metallglieder und hielt die Kette mit dem Leib und den Beinen fest.
Weeny sagte ein schmutziges Wort und zog. Ich grinste ihn an und hoffte, er würde in meine Reichweite kommen.
Dann holte er sein Stilett heraus und ließ die Klinge hervorspringen. Mein Grinsen wurde breiter.
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