Der Esper und die Stadt
„setze ich dich einfach wieder unter Drogen, und dann wirst du so oder so für uns arbeiten.“
Ich kaute langsam auf einem losen Nylonknoten und fragte: „Wo sind die anderen?“
„Sie arbeiten an den Bomben und schließen die Zeitzünder an.“ Den Blick auf meine Hände gerichtet, trat Larry von dem Gitter zurück. Er war jetzt außerhalb meiner Reichweite.
„Welche Bomben?“ Das wurde ja immer schlimmer. Endlich hatte ich die Kordeln gelöst. Die erste Hand war frei.
„Die Bomben. Du hast uns gesagt, wie wir an sie herankommen.“
Ich schob die letzte Schlinge über meine andere Hand und zog die Kordel in die Länge. Ich dachte daran, mich zu erhängen.
Larry musterte neugierig mein Gesicht. Er konnte meine Vibrationen nicht empfangen. Er konnte auch meinen Ausdruck nicht deuten. „Du hast uns gesagt, wo sie gelagert werden, wie man die Rechnungsformulare fälscht und dich auf einen Experten eingestimmt, der weiß, wie man Bomben bastelt und Schaltkreise zeichnet. Du wirst immer besser beim … Du erinnerst dich wohl an gar nichts, was?“
Als ich als Kind der UN-Bruderschaft beigetreten war, hatte ich einen Eid geschworen, laut dem ich mich verpflichtete, alle Tricks zu lernen, um Menschen vor Verbrechern und Mördern zu schützen. Und ich hatte diesen Eid immer ernst genommen.
Plötzlich war ich der Verbrecher und Mörder. Ich hatte mich dazu verleiten lassen, irgendwelchen durchgedrehten Kindern Bomben zu besorgen. Ich war mir jetzt sicher, daß Larry nicht richtig tickte. Als ich seine Vibrationen untersucht hatte, um herauszufinden, ob er verrückt war, hatte ich nichts gefunden. Aber das lag daran, weil ich nach Haßgefühlen Ausschau gehalten hatte. Und Larry haßte niemanden.
Ahmed hatte recht gehabt. Irre sollte man nur nach ihren Handlungen beurteilen … Was hatte der Junge mit meiner Hilfe angestellt? Würde es wieder zu einem Massensterben wie im Fall der Jersey-Kuppel kommen? Würde man mich dafür verantwortlich machen? Wenn noch einmal dreitausend Menschen starben – konnte ich dann ehrlich sagen, daß ich damit nichts zu tun hatte?
Ich erinnerte mich an meinen Philosophielehrer, der gesagt hatte: „Es gibt keine Zufälle.“
„Du hast es tun wollen, George, sonst hättest du es nicht getan. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, sagte seine Stimme in meinem Kopf. Hatte ich Larry die Bomben tatsächlich zugänglich machen wollen? Hatte ich gewollt, daß sie in die Hände von Weeny und Nicholi gelangten? Larry war ein Historiker, ein Dichter, eine Führernatur – und verrückt. Weeny maß seine Wichtigkeit daran, wieviel er zerstören konnte. Nicholi machte sich einen Spaß daraus, die Leute gegeneinander aufzuhetzen und dem Resultat dann zuzusehen.
„Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, wiederholte die Stimme meines Philosophielehrers. „Du bist, was du getan hast, und du bist, was du tust.“
Ich stand da, ließ die Nylonkordel baumeln und dachte an Selbstmord. Dann steckte ich die Schnur in die Tasche.
„Larry, ich kann mich seit Dienstag an nichts mehr erinnern. Ich weiß nichts mehr von den Bomben. Ich würde auch niemals irgendeiner nichtsnutzigen Bande was von Bomben erzählen. Was habt ihr mir eingetrichtert?“
Der Junge zog eine Flasche aus der Tasche. „Nichts Gefährliches.“ Er las vor, was auf dem Etikett stand. „Preop. Adrenalinreduzierendes, hypnotisches Euphorikum. Macht den Patienten fügsam, willfährig und befreit ihn von Ängsten. Einzunehmen maximal acht Stunden vor größeren Operationen, vor denen der Patient tiefe Furcht zeigt. Mindert den Streß, erleichtert die Vorbereitungsarbeit des behandelnden Personals und verringert postoperative Schocks. Warnung: Der Patient verliert das Richtungsgefühl, vergißt Instruktionen und wird nur jene Umgebung wiedererkennen, die er mindestens einen Tag vor der Einnahme gesehen hat. Rückwirkender Gedächtnisverlust wird die Erinnerung an alle Ereignisse auslöschen, die zwischen vier und sechs Stunden nach der Einnahme der Dosis erfolgt sind. Eine Kapsel für je fünfzig Kilogramm Körpergewicht alle vier Stunden. Kritische Menge: Faktor zwölf.“
„Das ist schlimm“, sagte ich und dachte daran, daß Larry mir die Flasche vielleicht geben würde, wenn ich seine Intelligenz beleidigte. „Du hast das Etikett nicht gelesen, bevor du mir die Pillen gabst. Du hast mein Gehirn kaputtgemacht. Auf dem Etikett steht was von Gedächtnisverlust, und genau das habe ich. Und außerdem steht da was von
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