Der Esper und die Stadt
magerer Typ von der Rettungsbrigade, der Vermißte sucht. Geht ziemlich schnell. Und hat so schwarze Augenbrauen.“ Ich zeigte auf meine Augenbrauen und runzelte die Stirn.
„Nö.“ Der Junge sah mich an und wartete auf weitere Fragen, aber ich hatte keine mehr. Die Blagen werden immer kleiner. Man kann sich kaum vorstellen, daß sie dieselben sind wie wir damals, als wir noch klein waren. Aber nicht sie haben sich verändert, sondern ich.
„Na, dann danke, Junge.“
Er nickte und verschwand zwischen den Gebäuden in der grünen Wildnis der Hinterhöfe. Ich sah ihm nach. In einer Stadt mit vier Millionen Menschen hatte es wohl nicht viel Sinn, irgendeinen Jungen nach einem Vermißten zu fragen, aber manchmal hatte ich Glück. Daneben getroffen. Aber ich hatte ja um nichts gewettet. Ich ging weiter, nippte an meiner Suppe, kam auf die öffentlichen Gehwege des Kunst- und Galeriedistrikts und war bald zwischen den kostümierten Künstlern und ihrer Kundschaft. Ich ging schneller als die langsam dahinfließende Menge. Die meisten Leute waren nur da, weil sie sich was ansehen wollten, aber andere schleppten große Gemälde und Fotodrucke mit sich herum. Ich hielt auf jene zu, die den Anfang der Menge bildeten, und machte denen, die hinter mir kamen, den Weg frei. Auch wenn ich keine Suppe bei mir habe, brauche ich auf dem Gehweg mehr Raum als mir zusteht, aber ich weiß, was es für eine Arbeit macht, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, ohne jemanden anzurempeln. Ahmed hatte für unsere UN-Bruderschaft ein Spiel daraus gemacht, Völkerscharen wie diese zu durchqueren: Man hatte verloren, sobald sich ein Erwachsener beschwerte – oder auch nur sein Lächeln gefror.
Es war eine lustige Meute. In den Vierteln der Galerien und Künstler geht es immer lustig zu. Sogar die alten Häuser strahlten glückliche Vibrationen aus, und auch die verwilderten Grünzonen, die wilden Blumen, die großen, federähnlichen Pflanzen und die Kletterranken, die an den Zäunen endeten, damit sie die Gebäude nicht überwucherten. Ich fragte mich, warum die Schlingpflanzen nicht an den Häusern hochwachsen durften und fing an, wie ein Polizist zu denken, denn ich sah, daß die freien Flächen ohne Bewuchs Diebe daran hinderten, sich heimlich an den Fenstern zu schaffen zu machen, in die Galeriegebäude einzudringen und Bilder zu stehlen. Die Hälfte der Leute, die ich kannte, lebten von Renten. Sie hatten zwar genug Geld für Nahrung und Unterkunft, aber zu wenig, um sich die hübschen Sachen zu kaufen, die es dort drinnen gab. Und Kunstgegenstände sind teuer. Sicher wurde viel gestohlen.
Im Revier an der Madison Avenue nahm ich einen Umschlag in Empfang, auf dem mein Name stand. Darin fand ich einen anderen Umschlag mit den Worten „Ahmed Kosvakatats, Daten des Vermißten, nur für autorisiertes Personal.“
Ich nahm im Revier auf einer Bank Platz und sah mir das Material an. Es schien aus Fotokopien offizieller Akten zu bestehen, die Ahmed betrafen. Geburtsurkunde, Schulzeugnisse und solche Sachen. Schon sie anzusehen war ein Anschlag auf seine Privatsphäre. Dazwischen befand sich auch eine Vermißtenmeldung, aber mehr als sein Name, seine Beschreibung und der Ort, an dem man ihn zuletzt gesehen hatte, stand nicht darin.
Zuletzt hatte er über seinen Armbandsender von der Ecke 127. Straße der Park Avenue einen Bericht abgegeben. Eine schlechte Gegend, um darin zu verschwinden. Ein lausiger Distrikt! Die Gegend des Schwarzen Reiches, von Spanish Hartem und den versiegelten Mauern Arabisch-Jordaniens! Es ist zwar verboten, auf den öffentlichen Wegen, die durch diese Zonen verlaufen, Kämpfe abzuhalten, aber der Haß ist hier so dick, daß man ihn mit dem Messer zerschneiden kann. Die Sektoren haben das Recht, innerhalb ihrer Mauern eine eigene Polizei zu unterhalten und nach eigenen Gesetzen zu urteilen. Wer sich in sie hineinbegibt, verschwindet. Und die „Polizei“ hinter diesen Mauern behauptet dann, daß niemand eingedrungen ist. Erwachsene, die vernünftig sind, kommen gar nicht erst auf den Gedanken, diese Gegend aufzusuchen. Sie gehen an den Mauern vorbei, ohne aufzuschauen, langsamer zu werden oder gar stehenzubleiben.
Ich ging in den Untergrund und nahm mir einen Fahrstuhl zum Ausgang der 125. Straße. Dann ging ich zwei Blocks zu Fuß, bis ich die angegebene Stelle erreichte, und marschierte ohne aufzuschauen daran vorbei – neben der hohen Mauer her, die Spanish Hartem von Arabisch-Jordanien trennte. An der
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