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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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die­se Sek­tie­rer-Ta­gung statt­fand und die al­le rein­ka­men, Hum­mer be­stell­ten und aus der Hand ge­le­sen ha­ben woll­ten? Wo hast du bloß all die Hum­mer her­ge­holt?“ Sie gin­gen zu­sam­men zur The­ke, auf der al­ler­lei Ku­chen und Bröt­chen aus­ge­stellt wa­ren. Ein hüb­sches Mäd­chen in ei­nem ge­stärk­ten Kit­tel kam aus der Kü­che und stell­te sich da­hin­ter.
    Bes­sie lach­te. Sie be­gann mit ei­nem ner­vös klin­gen­den, hel­len Ge­ki­cher und en­de­te mit ei­nem tie­fen „Ho­ho“, das sich an­hör­te wie das Ge­läch­ter des Weih­nachts­man­nes. „Und ob ich mich dar­an er­in­ne­re! War das ein Cha­os! Ich hing am Te­le­fon und ver­such­te in zehn Mi­nu­ten zwan­zig Hand­le­ser zu­sam­men­zu­krie­gen! Du kannst dir si­cher vor­stel­len, wie dank­bar ich war, als du die­se zwan­zig jun­gen Leu­te rü­ber­schick­test, die den Leu­ten dann aus der Hand la­sen. Ich war zu­erst un­ge­heu­er ner­vös, aber dann merk­te ich, daß sie ih­nen wirk­lich zu­hör­ten. Zu­erst dach­te ich, du hät­test ir­gend­wo ei­ne gan­ze Zi­geu­ner­sip­pe auf­ge­trie­ben. Ho­ho! Ich hat­te kei­ne Ah­nung, daß es sich um ei­ne Po­li­zei­schü­ler-Klas­se aus der Per­sön­lich­keits­ana­ly­se han­del­te.“
    Ich ging zur Tür und auf den Bür­ger­steig hin­aus. Ein paar Mi­nu­ten spä­ter kam Ah­med die Roll­trep­pe her­un­ter. Wie­der nahm er je zwei Stu­fen mit ei­nem Schritt. Er kam wie ei­ne Ra­ke­te zu mir hin­aus. „Hier, trag das.“ Er warf mir die Pa­pier­tü­te mit den tür­ki­schen Ho­nig­bröt­chen zu. Der war­me, sü­ße Duft roch herr­lich. Ich nahm die Tü­te und steck­te ei­ne Hand in sie hin­ein.
    „Du sollst sie nur tra­gen, nicht es­sen.“ Ah­med lief auf die Trep­pe der U-Bahn zu, die auf den ers­ten Un­ter­grund-Geh­weg führ­te.
    Ich nahm die Hand aus der Tü­te und folg­te ihm. Als ich lang­sam die Trep­pe hin­un­ter­ging, ver­spür­te ich ein Schwin­del­ge­fühl, ob­wohl ich nicht zwei, son­dern stets nur ei­ne Stu­fe nahm. Als ich un­ten an­kam, sah Ah­med sich die Schil­der an, die in die un­ter­schied­lichs­ten Rich­tun­gen wie­sen und be­kannt­ga­ben, wel­ches Gleis in wel­chen Stadt­teil führ­te. Zum ers­ten Mal sah ich ihn be­sorgt und un­si­cher. Er wuß­te nicht, in wel­che Rich­tung er sich wen­den soll­te.
    „Wir wis­sen, daß das Op­fer weib­lich, er­wach­sen, jün­ger als Bes­sie, mög­li­cher­wei­se schwan­ger und ir­gend­wo in ei­ner Fal­le sitzt, in der es we­der Nah­rung noch Was­ser gibt“, dach­te er laut vor sich hin. „Sie hat Hil­fe von Men­schen er­war­tet, die sie liebt. Sie wur­de ent­täuscht. Jetzt macht der Ge­dan­ke an Lie­be sie wü­tend, und sie haßt den Ge­dan­ken, daß es ir­gend je­man­den ge­ben könn­te, der ihr hilft.“
    Ich dach­te an Bes­sies plötz­lich krank und ein­ge­fal­len aus­se­hen­des Ge­sicht, nach­dem das Op­fer auf ihr geis­ti­ges Hilfs­an­ge­bot ein­ge­schla­gen hat­te. Daß das Op­fer wü­tend war, schi­en mir die Un­ter­trei­bung des Jah­res zu sein. Ich er­in­ner­te mich an den wil­den, be­droh­li­chen Him­mel und sah, wie die Leu­te an uns vor­bei­eil­ten. Sie wa­ren bleich und ängst­lich. Zwei Häs­chen, die wirk­lich schlimm aus­sa­hen, ka­men vor­bei. Die ei­ne hielt ih­ren Ma­gen fest und mur­mel­te et­was von Al­ka-Selt­zer; die an­de­re hat­te rot­ge­rän­der­te Au­gen, als hät­te sie ge­weint. Kann ei­ne ein­zi­ge Per­son in Not dies ei­ner gan­zen Stadt vol­ler Men­schen an­tun?
    „Wer ist sie, Ah­med?“ frag­te ich. „Ich mei­ne, was ist sie über­haupt?“
    „Ich ver­ste­he es sel­ber nicht“, sag­te Ah­med. Plötz­lich über­fiel er mich wie­der mit die­ser Fra­ge und be­nutz­te da­bei die­se tie­fe, hyp­no­tisch klin­gen­de Stim­me, die mich rück­wärts in den schwar­zen Wir­bel aus Angst vor dem To­de warf. „Wenn du Durst hät­test, wenn du sehr durs­tig wärst und es nur ei­ne Stel­le in der Stadt gä­be, an der du einen Schluck krie­gen könn­test …“
    „Ich ha­be aber kei­nen Durst.“ Ich ver­such­te zu schlu­cken, aber mei­ne Zun­ge fühl­te sich plötz­lich ge­schwol­len an. Mein Mund schi­en aus­ge­trock­net und mit Sand

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