Der Esper und die Stadt
du. Es ist die andere.“
Als Bessie den Kopf hob, war ihr Gesicht verändert. Ihr rundlichlächelndes Äußeres war einem kummervollen, faltigen Ausdruck gewichen. Sie glich jetzt einem alten Bluthund. Sie murmelte: „Es stimmt. Warum soll man auf jemanden warten, der einem hilft und einen liebt? Wir sind geboren worden, um zu sterben. Daran kann man nichts ändern. Es gibt keinen Grund zur Hoffnung. Hoffnung erzeugt Schmerz. Hoffnung tut ihr weh.“ Es gefiel mir nicht, wie Bessie redete. Es war, als sei sie tot. Eine sprechende Leiche.
Obwohl sie den Anschein erweckte, sich zusammenzureißen und auf Ahmed zu konzentrieren, um ihm Bericht zu erstatten, glitt eines ihrer Augen aus dem Brennpunkt und schien anderswohin zu blicken.
„Hoffnung schmerzt“, sagte sie. „Sie haßt die Hoffnung. Sie versucht sie umzubringen. Sie fühlt meine Gedanken und hielt meine Ansichten über das Leben und die Hoffnung für ihre eigenen. Ich erinnerte mich, wie Harry mir stets geholfen hat, und sie explodierte in Schwärze und Haß …“ Bessie stützte den Kopf wieder auf ihre Hände. „Ahmed, er ist tot. Sie hat Harrys Geist in meinem Herzen getötet. Er wird nie wieder zurückkehren, nicht einmal in meinen Träumen.“ Ihr Gesicht war tot, wie eine Maske.
Ahmed streckte die Hand aus und tätschelte ihr erneut die Schulter. „Schäm dich, Bessie. Komm raus da.“
Sie richtete sich auf und funkelte ihn an. „Es stimmt. Alle Männer sind Ungeheuer. Niemand wird einer Frau helfen. Du willst doch, daß ich dir bei der Erfüllung deines Jobs helfe, damit du, wenn du das Mädchen findest, noch einen Orden bekommst, stimmt’s? Du empfindest gar nichts für sie.“ Ihr Gesicht verdunkelte sich dermaßen, daß ich mich wieder an die finsteren Wolken erinnert fühlte.
Ich mußte sie da herausholen, aber ich wußte nicht, wie ich das anstellen sollte.
Ahmed ließ einen Löffel gegen die Teetasse klicken und sagte mit unerwartet lauter Stimme: „Wie laufen die Geschäfte hier, Bessie? Zahlen sich die neuen Mädchen aus?“
Sie sah überrascht auf die Tasse und blickte sich dann irritiert in ihrem Lokal um. „Nicht viel Kundschaft da im Moment. Wahrscheinlich nicht die richtige Zeit. Die Mädels sind in der Küche.“ Bessies Gesicht nahm wieder ihre alten Züge an. Sie setzte die Maske der freundlichen Bedienerin auf, wurde wieder rundlich und lächelte. „Sollen die Mädchen dir was bringen, Ahmed?“
Als sie sich freundlich zu mir umwandte, klangen ihre Worte noch weniger mechanisch. „Und Sie, junger Mann? Womit kann ich Ihnen dienen? So wie Sie dastehen, sehen Sie ziemlich energiegeladen aus. Die meisten jungen Leute mögen unsere türkischen Honigbrötchen.“ Ich war zwar immer noch nicht ganz in ihrem Brennpunkt – ich meine, sie nahm mich immer noch nicht hundertprozentig wahr, aber ich lächelte ihr zu, denn ich freute mich, daß es ihr jetzt besser ging.
„Nein, danke, Ma’am“, sagte ich und schaute Ahmed an, weil ich wissen wollte, was er als nächstes tat.
„Bessies Honigbrötchen haben Weltruf“, sagte Ahmed. „Sie triefen fast, soviel Honig ist in ihnen drin, und sie haben einen so delikaten Geschmack, daß sie einem fast den Mund verbrennen.“ Er stand leichtfüßig auf und sah ein bißchen abgespannt aus. „Schätze, ich nehme ein Dutzend mit.“
Die dicke Frau saß da und blinzelte ihn an. Ihr rundes Gesicht sah nun nicht mehr krank und eingefallen aus, nur ein wenig faltig und ausdruckslos; wie man eben aussieht, wenn man morgens in den Spiegel schaut. „Türkische Honigbrötchen“, wiederholte sie. „Ein Dutzend.“ Sie bimmelte mit einem Glöckchen, das auf der Mitte des Tisches stand und erhob sich.
„Warte unten auf mich“, sagte Ahmed zu mir. Dann wandte er sich der Frau zu. „Weißt du noch, als
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