Der Esper und die Stadt
war ein schlechtes Zeichen; es war schlimmer als die Gewißheit, daß der Gegner beim Kartenspiel vier Asse hat. Tod. Ich kriegte wieder dieses Gefühl, krank zu sein. Bessies Tod?
„Tut mir leid“, sagte Ahmed. „Aber mach weiter, Bessie. Versuch’s aus einem anderen Winkel. Wir brauchen den Namen und die Adresse.“
„Sie hat nicht an ihren Namen oder ihre Adresse gedacht.“ Bessies Augen waren immer noch eng geschlossen.
Ahmed sprach plötzlich mit einer seltsamen Stimme. Ich hatte sie schon einmal gehört, damals, als er noch der Anführer unserer Bande gewesen war. Er hatte einen anderen Jungen hypnotisiert. Es war eine tiefe, ebenmäßige Stimme, die einen bis ins Innerste durchdrang.
„Sie brauchen Hilfe, aber niemand ist gekommen, um Ihnen beizustehen. Über was denken Sie nach?“
Die Frage ging mir in den Kopf. Eine Antwort bildete sich. Ich wollte sie geben, aber Bessie sprach zuerst. „Wenn ich nicht denke, nur die Augen schließe und mich nicht bewege, fühle ich gar nichts. Alles geht dann weit weg. Wenn die bösen Dinge passieren, kann ich davon wegbleiben und mich weigern, zurückzukehren.“ Bessies Stimme klang wie in einem Traum.
Die gleichen finsteren und schläfrigen Gedanken hatten sich auch in meinem Kopf geformt. Sie sprach sie für mich aus. Plötzlich fürchtete ich, die Dunkelheit könnte mich verschlingen. Es war wie eine Nachtwolke – oder ein Kissen, das tief herunterschwebt und einen einlädt, das Haupt darauf zu betten, sich gleichzeitig jedoch langsam dreht und wendet und blitzende Haifischzähne zeigt, damit man weiß, daß dort ein Raubfisch auf einen wartet und jeden fressen wird, der ihm zu nahe kommt.
Bessies Augen öffneten sich. Sie richtete sich auf. Ihr Blick war so weit, daß an den Rändern das Weiße sichtbar wurde. Sie hatte Angst vor dem Schlaf. Ich freute mich, daß sie ihm entgangen war. Sie war drauf und dran gewesen, in die einladende Finsternis hinabzuschweben, in der das schwarze Ungeheuer wartete.
„Wenn du zu tief reingehst, könntest du tot wieder aufwachen“, sagte ich und legte eine Hand auf Ahmeds Schulter, um ihm zu sagen, er solle langsamer vorgehen.
„Es ist mir egal, wer von euch für sie spricht“, sagte er, ohne sich umzudrehen. „Aber du mußt lernen, deine Gedanken von den ihren getrennt zu halten. Du denkst nicht ans Sterben, sondern das Opfer tut es. Sie schwebt irgendwo in Todesgefahr.“ Erneut beugte er sich über den Tisch und sah Bessie an. „Wo ist sie?“
Mein Griff auf Ahmeds Schulter verstärkte sich, aber Bessie nahm gehorsam die Teetasse zwischen ihre dicken Finger und sah wieder hinein. Ihr Gesicht war unschuldig und rund, aber ich glaube, sie hatte mehr Mut als ich.
Ich ging an ihr vorbei um den Tisch und sah über ihre Schulter in die Tasse. Ein paar Blätter trieben dort herum und formten ein obskures Muster. Bessie tippte die Tasse mit einem ihrer dicken Finger an. Das Muster veränderte sich. Die Blätter wurden zu einer Art Bild, aber ich konnte nicht genau ausmachen, was es darstellte. Es sah aus wie etwas von Bedeutung, aber ich kam nicht ganz dahinter.
Bessie sagte liebevoll: „Du hast Durst, nicht wahr? Da, da, mein Goldkind. Wir werden dich finden. Wir haben dich nicht vergessen. Denk an deinen Namen, dann werden wir …“ Ihre Stimme erstarb zu einem leisen, sich auflösenden Gemurmel; wie das einer ablaufenden Aufziehpuppe. Sie stellte die Tasse hin und stützte den Kopf in beide Hände.
Ich hörte ein Flüstern. „Des Versuchens und des Lächelns müde. Sterben lassen. Mag der Tod geboren werden. Der Tod wird kommen und die Welt vernichten; die wertlose, vertrocknete, verkommene …“
Ahmed streckte die Arme über den Tisch, packte Bessies Schultern und schüttelte sie. „Aufhören, Bessie. Das bist nicht
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