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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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einrücken lassen, wo die Perser natürlich auf die türkische „Besatzungsmacht“ gestoßen waren. Unter gegenseitigen Friedensversicherungen hatte man darum auch so lange gekämpft, bis die Hohe Pforte geglaubt hatte, zum Zeichen des „ihr aufgedrungenen Krieges“ die Roßschweife aufstecken zu müssen. Und dann geschah, was in solchen Fällen zu geschehen hatte. Zehn Tage später standen die gegen Osten ausziehenden Regimenter vor Sonnenaufgang des dreißigsten August 1730, beritten und zu Fuß, mit Roßschweifen, Fahnen und Musik auf der Chunkiartschairi, der Kaiserwiese zu Skutari, in Erwartung ihres Padischahs. Am Vorabend bereits war der Großwesir mit der heiligen Fahne unter allen Feierlichkeiten, die diesem Symbol gebührten, eingetroffen, Doch der Großwesir war nur der Schatten des Kaisers und Kalifen, der Kalif aber der Schatten Allahs. Seines Padischahs, seines Kaisers, hatte das Heer geharrt, des Augenblicks, da die Sonne wieder über Anatolien aufgehen würde, weil dann der Großherr in funkelnder Rüstung erscheinen müsse, um mit einem glänzenden Gefolge, Mut gebietend und einflößend, die Fronten abzureiten. Alle Kehlen waren bereit gewesen, ihre Stimmen im großen Alkisch, im großen Segenruf zu vereinen, der nur dem Erhabenen gebührte. Aber vergebens war die Sonne aufgegangen. Der Herr, dessen Brot das Heer aß, war nicht erschienen. Einige Offiziere waren bedenklich geworden. Die Ruhe unter den Herdschaften und Rotten hatte ihr Mißtrauen nicht zerstreuen können. Genug erfahrene Aga wußten, wie plötzlich und unberechenbar aus dem allgemeinen Schweigen ein ebenso allgemeiner Unwille hervorbrechen konnte. Dann freilich war es noch immer zu spät gewesen. Dann hatte man der schreienden Masse zu ihrer Beschwichtigung einige Köpfe hinwerfen müssen, und darunter hätte in diesem Fall vielleicht der eigene Kopf eines der Nachdenklichen sein können.
    Der Gedanke an diese Möglichkeit war dem Großwesir nicht gekommen. Zwar hatte er den Krieg gekostet. In der unglücklichen Schlacht bei Peterwardein war er einer der letzten gewesen, die bei der heiligen Fahne ausgeharrt und sie zum Schluß gerettet hatten. Aber er war ein Mann der Feder und kein Soldat. Auch fühlte er sich im Vertrauen auf die Freundschaft mit seinem Herrscher, der ihm Fatime Sultana, die eigene Tochter, zur Frau gegeben hatte, hoch über alle andern erhoben. Längeres Zureden war nötig gewesen, bis ein Schnellboot schäumenden Bugs den Pascha von sechs Roßschweifen, den Großwesir Ibrahim, zum Neuen Serail und zum Padischah hatte bringen dürfen.
    Aller sonstigen Liebenswürdigkeiten bar hatte die Majestät aus Verstimmung über die Kriegsvorbereitungen ihren Freund und Wesir empfangen. Durch nichts war der Herrscher zu bewegen gewesen, die heilige Fahne zu entfalten. Nächstes Jahr sei Zeit genug, und bis dahin hoffentlich alles friedlich geregelt.
    Es war eine bittere Stunde für Ibrahim gewesen.
    Wesir heißt Lastträger, weil er die Last der Herrschaft zu tragen hat, und auf Ibrahim paßte dieser Titel. Er war klug genug gewesen, so lange zu warten, bis seine Vorgänger über den verlorenen Krieg und den unglücklichen Frieden von Passarowitz gestürzt worden waren. Erst dann hatte er dem Drängen seines kaiserlichen Freundes nachgegeben, der ihm so zugetan war, daß er die Nachricht von Prinz Eugens Sieg bei Peterwardein leichter verschmerzt hatte, weil Ibrahim der Bote gewesen war. Zwölf Jahre waren darüber vergangen, und in dieser ganzen Zeit war das kaiserliche Siegel mit ungeteilter Macht in den Händen des begabten Staatsmannes geblieben. Nichts hatte es dem Reich geschadet, daß Kaiser Ahmed, dieser Frauenliebling und Kavalier, sich indessen von seinen Gattinnen hatte vergöttern lassen, daß er immer neue Blumenfeste und Gastereien für sie ausgesonnen hatte und ganz in seinen Sammlungen von Vögeln, Lampen und Spiegeln aufgegangen war, während Ibrahim trotz der Bürde seines Amtes noch die Zeit gefunden hatte, sich durch die Veranstaltung ähnlicher Feste die Gunst seines Herrn und dessen Damen auch als Hofmann zu erhalten. Der vergnügungssüchtige Sultan war, solange er seinem erfolgreichen Minister die Macht überlassen hatte, kein schlechter Herrscher gewesen. Gefährlich war er erst geworden, als er, ohne die Grenzen der politischen Möglichkeiten abschätzen zu können, unerwartet selbst von dieser Macht hatte Gebrauch machen wollen.
    Auch Ibrahim wünschte aufrichtig die Wiederherstellung des

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