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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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selbst den Vortrag des Kiaja gehört, und Seine Heiligkeit bestätigte dessen Ausführungen. Wer aber sollte es besser wissen als der Scheich des Islams? Meinen Sie nicht auch?“
    Das war ein milder Tadel, aber ein Tadel. Das Mißliche war nur, daß Beschir es tatsächlich besser wußte als Abdullah und sogar als Ibrahim, von Seiner Majestät gar nicht erst zu reden. Zu lange hatte er des Padischahs Familienkreis angehört, als daß er nicht im ersten Augenblicke die Blinden beinahe gewarnt hätte. Aber rechtzeitig bemerkte er noch den verhaltenen Zorn des Sultans, Abdullahs hämisch verkniffenen Mund und Ibrahims mildes Erstaunen, mit dem er den bisherigen Verbündeten bereits abschrieb. Beschir hielt inne. Man würde ihm ja doch nicht glauben, versuchte er sich vergebens zu überreden; aber in Wirklichkeit behielt er sein Geheimnis als das letzte Mittel für sich, um den bestehenden Zustand notfalls in einen ihm genehmeren zu verwandeln. Sein Schweigen war ein Verrat, und er war zu klug, es nicht zu wissen; er aber schob die Verantwortung den andern zu, von deren Verhalten er das seinige abhängig machte.
    Der Mufti zögerte denn auch nicht, die Lage völlig zu verkennen. „Zweifeln Sie an meinen Worten?“ fragte er in einem barschen und groben Ton, der ganz gewiß einem empfindsamen Eunuchen, einem Hüter der guten Formen gegenüber nicht am Platze war. „Halten Sie mich für einen Esel?“
    „Ich halte Sie für eine Heiligkeit“, sagte Beschir mit einer leicht herablassenden, flüchtigen Verneigung. „Oder sind Sie etwa anderer Meinung?“
    Vorerst hatte der Kislar damit wieder ein wenig Fuß gefaßt. An einem Wortgefecht wie dem der leichten Waffen des Kislars gegen die groben des Muftis hatte Sultan Ahmed immer seine Freude. Daß es einmal gegen ihn selbst gehen könne, brauchte er ja nicht zu fürchten. „Was die Stimmung unter den Truppen anlangt“, konnte der Kislar also fortfahren, „davon verstehe ich nicht das mindeste. Aber Ibrahim Pascha, Seine hochzuverehrende Hoheit, sprach von der Aussicht auf baldige Verhandlungen mit Tahmasipschah. Im Hinblick hierauf schiene es mir günstiger, das Heer stände nicht immer noch auf Kanonenschußweite von der Hauptstadt, sondern etwa bei Tebris -doch nein, das ging ja verloren“, verbesserte er sich mit einer kleinen Bosheit, die den Sultan aufscheuchen sollte, „aber am Euphrat könnte das Heer stehen, ich schlage vor: bei Bagdad. Dann hätten wir wohl nicht nur Aussichten auf Verhandlungen, sondern vermutlich verhandelten wir dann schon aussichtsreich und bekämen nach dem Willen unseres erhabenen Herrn den Frieden.“
    „Oder hätten den Krieg, den wirklichen Krieg! Sehen Sie das denn nicht ein, Aga?“ Fast bettelte der tief enttäuschte Sultan, als er das fragte. Doch wenn Sultane bettelten, waren sie gefährlich. Beschir wußte das, und es hätte nicht der beschwörenden Blicke bedurft, die ihm der Großwesir als letzten Freundschaftsdienst zuwarf. Ganz klar war Beschir sich darüber, daß hinter Sultan Ahmeds Werben die Drohung einer Absetzung stehe oder gar die der seidenen Schnur. Dennoch reizte er das Tier, er wollte es reizen.
    „Und was ist das, was wir jetzt haben?“ fragte er. „Drei unserer Städte in persischer Hand, ein Heerestransport genommen, eine osmanische Abteilung in die Flucht geschlagen. Das sieht fast wie Krieg aus.“
    „Geplänkel unserer Grenzstatthalter, wie sie fast nie aufhören“, fiel Ibrahim Pascha schnell ein. „Erst wenn das Heer auszieht, wird es ein Krieg.“
    „Ich verbiete den Auszug!“ rief der Sultan mit unkaiserlicher Heftigkeit. „Ich will nichts mehr davon hören. Nächstes Jahr werden wir
    sehen.“
    ,Ich will nichts mehr davon hören“, hatte der Kaiser gesagt. Es war eine Vermessenheit, über das, wovon der Kaiser nichts mehr hatte hören wollen, weiterzureden. Beschir hatte diese Vermessenheit, die, wenn nicht Selbstmord, so doch Vernichtung seiner Stellung und seines Ansehens war. Ahmed konnte keinen Kislar Aga behalten, der anstatt, wie es dessen Pflicht war, die Würde des Herrschers zu wahren, sich in so hohem Maße an ihr verging. Von keinem Vorgänger Beschirs, selbst von denen nicht, die durch allerhöchste Ungnade ihr Leben verloren hatten, war jemals etwas Ähnliches berichtet worden.
    Aber Beschir konnte nicht zurück. Er allein wußte, daß dies Gespräch ein Gottesgericht war. Falls es mit seinem Tode enden sollte, hätte Allah gesprochen, das dem Menschen Beschir vorbestimmte

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