Der Eunuch
Friedens, vergaß darüber aber nicht, daß Ahmed erst durch eine Revolte zum Thron gelangt war, und so hatte er sich erlaubt, seinem kaiserlichen Schwiegervater untertänigst anzudeuten, daß ein Machtinstrument wie das Heer, wenn es unter fremden Einfluß, etwa, wie schon oft, unter den der Geistlichkeit geriete, unschwer einen neuen Herrn -der Herr aber in keinem Fall ein neues Heer finden würde.
Einen Augenblick hatte der Sultan erwogen, ob er dem Allzudreisten nicht das Siegel abverlangen solle, war dann aber doch einverstanden gewesen, daß ein Kämmerer von Hassan dem Deutschen, dem Janitscharenaga, einen Lagebericht einholen solle.
Durch diesen Bericht war alles entschieden worden. Die Janitscharen-hatte die Antwort gelautet - seien in Erwartung des Padischahs seit Mitternacht auf den Beinen und würden sich, wenn Seine Majestät nicht erschienen, schwerlich zufriedengeben.
Jetzt war auch Sultan Ahmed klar gewesen, daß er nachgeben müsse. Zum erstenmal hatte er sich seinem Großwesir versagt, durch die Verzögerung aber nur einen Nachteil erzielt. - Eine Meinung mag noch so unbegründet sein — wenn das ganze Volk sie teilt, ist es für einen Herrscher nie ratsam, sie unbeachtet zu lassen. So waren Volk und Heer davon überzeugt, daß ein wichtiges Unternehmen, und nun gar ein kriegerisches, stets an einem Morgen und möglichst bei Sonnenaufgang begonnen werden müsse. Sonnenaufgang jedoch war längst vorüber. Freilich hatte eine Siebenundzwanzigjährige Regierung den Sultan seiner Herrschaft sicher genug gemacht, um nicht auch noch durch allzu große Hast Schwäche zeigen zu wollen. Bis er sich endlich in seiner Prunkbarke eingeschifft hatte, war es nachmittags ein Uhr geworden, also eine Zeit schlechter Vorbedeutung, und da das Eintreffen der schlechten Vorbedeutung nicht zuletzt vom Verhalten des Heeres abgehangen hatte, so war sie denn auch eingetroffen. Das große Alkisch hatte seitens des Heeres so matt geklungen, daß der Sultan nicht mehr nach Konstantinopel zurückgekehrt, sondern auf der asiatischen Seite in seinem Uferpalast geblieben war, der die Rolle des Kaiserzeltes versah, wenn der Großherr geruhte, inmitten seiner gen Osten ausziehenden Truppen zu verweilen.
Dieses Mal war der Sultan fast schon zwei Monate bei seinen getreuen Regimentern geblieben, eine Zeit, die mit verschleppenden Beratungen hingebracht worden war. Erst hatte der endgültige Aufbruch am zweiten, dann am vierzehnten und schließlich am vierundzwanzigsten September stattfinden sollen. Aber obwohl die Perser inzwischen einen Militärtransport von viertausend Reitern und sechshundert Kamelen weggenommen und die Städte Tebris, Hamadan und Kermanschahan erobert hatten, stand das türkische Hauptheer noch immer am Bosporus.
Mit den gegenwärtigen Zuständen Unzufriedene gab es freilich genug. Das ging aus den revolutionären Aufrufen an die Adresse der höchsten Geistlichkeit hervor. Großen Eindruck erzielten die Betriebsamen damit allerdings nicht, höchstens einen Seufzer darüber, daß jetzt schon die Soldaten unter die Schreiber gegangen seien. Der Kiaja des Großwesirs, sein Stellvertreter und Innenminister, wies jedenfalls alle Warnungen mit Spott zurück. Er wie der ganze Hof und die Generalität glaubten angesichts der Ruhe bei den Truppen nichts befürchten zu brauchen, und statt des Aufbruchs des Heeres am vierundzwanzigsten war am sechsundzwanzigsten September im kaiserlichen Uferpalast ... eine Beratung angesetzt.
Die Frage nach der Herrschaft über den türkischen Staat schien leicht zu beantworten: Herrscher sei der Padischah, der Kaiser und Kalif als alleinherrschendes weltliches und geistliches Oberhaupt, alle andern seien Sklaven dieses Padischahs. Nun hatte es sich jedoch mehr als einmal herausgestellt, daß ein herrschender Padischah ohne große Schwierigkeiten durch einen andern Prinzen aus dem Hause Osman ersetzt werden konnte, die allesamt den Titel „Sultan“ führten. Und geborener Sultan mußte der neue sein. Der Familie Osman mußte er angehören. Etwas anderes hätten sich nicht einmal christliche Rajahs, geschweige denn mohammedanische Türken vorstellen können. So war es denn eigentlich mehr die Familie, die herrschte, und da osmanische Prinzessinnen nach türkischer Auffassung zu kostbar seien, um ins Ausland verheiratet zu werden, so hatte die Familie in ihnen das Mittel, sich jederzeit das Talent anzueignen, dessen sie zur Ausübung der Herrschaft bedurfte. Während die Sultaninnen
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