Der Eunuch
geworden, die ihn, den Großwesir, vor die Frage zwinge: entweder eine dilettantische Politik zu treiben oder auf die Macht zu verzichten.
Im Grunde deckten sich Ibrahims Ansichten so ziemlich mit denen des Kislar Aga; aber während Beschir bereit war, jede Gefahr auf sich zu nehmen, führten den Großwesir seine Überzeugungen nur bis zu der Frage, wie er sich behaupten könne. Wann aber hatte ein Großwesir schon einmal die Macht, die süße Macht, aufgegeben? Fast alle hatten gewartet, bis ihnen das Siegel abverlangt worden war, um dann den Weg in die Verbannung anzutreten oder ins Gewahrsam des Bostandschibaschi, das sie selten anders als auf einer Bahre mit den Füßen voran verlassen hatten.
Aus dieser letzten Möglichkeit machte Ibrahim, wenn seine Gedanken sie überhaupt streiften, sich allerdings nicht viel. Das Bild seiner kaiserlichen Gattin war stärker. Fatime Sultana war Ahmeds Lieblingstochter und zudem mit den beiden jüngsten Gemahlinnen ihres Vaters befreundet, die der im Purpur Geborenen weit williger folgten als dem Gatten und Herrn. Auf diese Weise hatte der Padischah ein wenig Angst vor seiner Tochter, gerade soviel, daß Ibrahim keine vor dem Bostandschi hatte. Nicht weniger schlimm würde es allerdings für den Großwesir sein, als Entmachteter und Verschonter bei seiner Frau eintreten zu müssen . . . nein, dachte er, dann lieber eine falsche Politik. Für die nächsten Jahre ließe sie sich noch halten. „Mein Padischah!“ sagte er, „deine Majestät kann beruhigt sein. Darf ich daran erinnern, daß Graf Tököly, der ungarische Aufständische und einst Verbündete deiner Hohen Pforte, nach Kleinasien verwiesen wurde und daß dem Siebenbürgener Fürsten Rakoczy, von dem Gleiches zu sagen wäre, mitsamt seinem Hofstaat und den bei ihm beglaubigten Gesandten Rodosto am Marmarameer als Wohnsitz angewiesen wurde? Ich freue mich, sagen zu dürfen, daß der Wiener Gesandte von Talmann darüber seine Befriedigung ausdrückte. In der Tat, wir gestatten unsern Asylempfängern keine Umtriebe gegen das Haus Habsburg. Man war nämlich in Wien schon sehr besorgt gewesen, als der General Graf Bonneval, der unsern Verlust bei Peterwardein nicht minder als Prinz Eugen verursachte, diensterbötig in unser Land kam. Aber wir haben den General in Bosnien festgehalten und von seinen Anerbietungen keinen Gebrauch gemacht, auch dann nicht, als er, von Allah erleuchtet, die Beschneidung erlangte und sich damit bedingungslos in die Untertänigkeit deiner Majestät begab.“ „Du hast recht getan, mein Ibrahim!“ sagte die Majestät mit einer Naivität, über die der Kislar sich schämte, weil es zu seinem Bedauern der Gebieter selbst nicht tat. „Seht, ihr Herren, das ist der Weg des Friedens“, fuhr der Padischah selbstgefällig fort. „Wie könnte der Kral von Böhmen“ - selbst in diesem Kreise konnte er sich nicht entschließen, von einem deutschen oder römischen Kaiser zu sprechen -„wie könnte er nach solchen Beweisen von Friedfertigkeit und Freundschaft uns je wieder mit Krieg überziehen? Ihm fehlte ja jede Begründung ! “
Und dennoch, dachte der Kislar, könne sich gegen den Willen eines solchen Mannes wie Ahmed, dessen Unfähigkeit er selbst doch am besten kenne, ein noch so fähiger Großwesir nicht eine Stunde im Amte halten. Zwei Zeilen von dieser schwächlichen Hand, und das Siegel des Reiches sei einem andern gegeben.
Beschir kannte seinen Padischah von dessen Kindheit an. Über dreißig Jahre hatte er mit ihm in persönlichem Verkehr gestanden, zuerst als ein einem Prinzen zugeteilter Eunuch, später als Chasineder, Schatzmeister des Harems, und schließlich als Kislar Aga. Auf seinen Armen hatte er dem Herrn dessen neugeborenen Kinder zugetragen, menschliche Bindungen waren entstanden, von denen sich loszusagen schwerfiel, und daß der türkische Staat so und nicht anders geartet sein müsse, wie er es war, hatte Beschir Jahrzehnte über Jahrzehnte seines Lebens niemals bezweifelt. Erst ganz allmählich hatte sich ihm die Überlegung aufgedrängt, daß die Vorteile der Herrschaft des einen, das Zusammenfassen aller Kräfte in einer Hand, sich nur in den ersten Jahrhunderten des Reiches habe auswirken können, so lange nämlich das Herrschgenie in der Familie Osman geradezu erblich gewesen sei. Damals freilich habe jeder anerkannte Padischah mit Ausnahme des zweiten Bajesid seine Macht bis zum Tode behauptet, und nur der erste Murad sei nach seinem Sieg auf dem Amselfelde von
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