Der Eunuch
bester Formen, sich nie hätte benehmen dürfen. Mit langen Schritten durchmaß er, um sich zu beruhigen, den Raum.
„Haben Sie bitte ein wenig Geduld mit mir, Julienne“, bat er dann. „Sie, eine junge Frau, die ich verehre . .."
„Und von Liebe ist gar nichts dabei?“ fragte sie.
„Nun ja, ich bin eifersüchtig, ich gebe es zu, und damit wissen Sie alles. Was mich anlangt, so ist mein Zustand Anmaßung, und an Ihre Zuneigung zu glauben, muß ich mir stets erst erkämpfen. Aber wir dürfen eins nicht übersehen: die Geliebte des Kaisers zu sein ist nicht ganz einfach, auch nicht Geliebte außerhalb des Serails, bei der offiziell nie ein Kaiser erscheint. Sie nannten selbst die Folgen, falls wir unsere Beziehungen aufrecht erhalten würden ..."
Sie unterbrach ihn heftig.
„Ich kann mir nicht denken, daß Sie glauben, was Sie sagen, Beschir. Falls ich Mahmud eine Absage erteilt hätte, könnte die Walide es als Herausforderung betrachten, wenn der Erste Würdenträger des Serails nicht sofort jede Beziehung zu der mißliebigen Person abgebrochen hätte. Das wäre aber auch alles gewesen. Sie sind etwas eitel, Exzellenz. Es ist nicht so sehr der Umstand, daß Ihnen ein kleiner barocker Schnörkel fehlt, als Ihr Alter, das Sie so unverdächtig macht. Ich weiß, das Volk traut Ihnen das Unwahrscheinlichste zu. Aber die Walide ist skeptisch. Sie könnte uns beide in einer völlig unmißverständlichen Lage überraschen und würde doch nur glauben, Sie hätten mich als Wärmflasche im Bett. Sie kennen doch die Geschichte von König David und der Abisag?“
Sie war ernstlich böse geworden, und das wischte alle seine Bedenken fort. Mit einem Male wußte er wieder, daß sie ihm alles bedeute und daß er ihrer Klugheit vertrauen dürfe. Sie bezauberte ihn in ihrem Zorn.
„Ich dachte bei meiner Erwägung nur an Sie, Julienne!“ beteuerte er, und um sie mit mehr Nachdruck von seiner Aufrichtigkeit zu überzeugen. kam er ihr näher.
Aber noch war es nicht an der Zeit.
„Das ist nicht wahr!“ schrie sie ihn mit einer Schonungslosigkeit an, in der sie sich selbst preisgab, um ihn zu verletzen. „Sie dachten an
Mahmud, und das ist töricht. Was nicht die Oberfläche durchdringt, kann man abwaschen. Dazu ist Seife da.“
Der Schlag war roh. Aber da Beschir ihm standhielt, zerschmetterte er dessen Hemmungen. An deren Stelle trat Reue, daß er sie, die so viel für ihn getan hatte und tat, als ein selbstsüchtiger Narr durch überflüssige Zweifel betrübt habe.
Zugleich erschrak Julienne über ihre eigenen Worte. Doch das besänftigte ihren Zorn gegen Beschir nur halb, gegen ihn, von dem ihr der Aufschrei erpreßt worden war, dessen sie sich jetzt schämte.
„Oh, Beschir“, klagte sie und übersah dabei seine stumme Bitte, „Sie stoßen mich in eine Tiefe, in der ich nie zu Hause war. Müssen Sie denn immer wieder über Ihre Vorurteile stolpern? Diese Lächerlichkeiten sind das einzige, was Sie daran hindert, ein einfacher Mensch zu sein, der das Komplizierte den Dummköpfen überläßt. Wie der Pudel von Flöhen, stechen Sie voll von Vorurteilen, mein Lieber. Wenn Sie sich ihrer doch einmal gründlich entledigen möchten!“
Er gedachte ihres ersten gemeinsamen Bades ...
„Wie du dich deiner Kleider ...? Julienne!“
In der Nacht vom zwanzigsten zum einundzwanzigsten April 1736 verschied Eugen von Savoyen. Er bekam den Krieg, den er für Österreichs Interesse als notwendig erachtet hatte, ebensowenig zu sehen, wie Franz II. Rakoczy, dessen letzter Lebensinhalt der Gedanke an diesen Krieg gewesen war. Rakoczy starb kurz vor Eugen.
Aber nicht Österreich begann diesen Krieg, sondern Rußland. Zwei Wochen nach Eugens Tod mußte die Pforte vor dem Serail die Roßschweife wider Rußland hinausstechen. Erst mehr als ein Jahr später verwandelte Österreich seine Rolle als eigennütziger Vermittler in die eines russischen Bundesgenossen.
Der Krieg dauerte drei Jahre und nicht ganz drei Monate - und wenn er auch ein Raubkrieg hatte sein sollen, so war er doch nicht lohnend gewesen.
Die Türken bekamen Belgrad mit Serbien zurück und eine gute Grenze gegen das zahlende Österreich, das nun zu Süditalien auch
nodi alle Eroberungen auf dem Balkan verlor. Rußland durfte auch fernerhin das Schwarze Meer nicht befahren, während die Anerkennung des russischen Kaisertitels durch die Hohe Pforte noch zurück-gestellt wurde.
Beschir starb sehr alt und im vollen Besitz seiner Macht. Noch während der letzten
Weitere Kostenlose Bücher