Der Eunuch
stets ihren hohen Rang behielten, blieben die angeheirateten Männer nicht nur Sklaven des Padischahs, sondern sie wurden durch die Heirat zugleich Sklaven ihrer kaiserlichen Gemahlinnen. An den Thron durften weder sie noch ihre Nachkommen denken, höchstens daran, in Zeiten der Gefahr auch einmal ihren Kopf auf Begehren von Meuterern opfern zu dürfen.
In diesem Sinne gehörte Seine Hoheit der Großwesir durch Fatime Sultana unmittelbar zur kaiserlichen Familie. Andere Hof- und Staatswürdenträger, die sich des gleichen Vorzuges nicht rühmen konnten, gehörten dank ihrer Herkunft aus den Pagenkammern dem kaiserlichen Haushalt an, während der große Rest der Regierenden jeder nur denkbaren Herkunft, auch der eines Sklaven, sein konnte. Neben der Herrscherfamilie gab es noch einen engen Kreis anderer Familien, die sich nicht mit der osmanischen mischten; denn die eine Ausnahme, in der es dennoch geschehen war, reizte nicht zur Nachahmung. Osman II. hatte darüber sein Leben verloren. Es waren die Familien der verehrten Ulema, der Geistlichen des Islams. Sie heirateten mit Vorliebe untereinander, und ein geistlicher Herr, dem ein Knabe geboren wurde, hatte obendrein das Recht, den Säugling in die Register einer Moschee eintragen zu lassen, um ihm dadurch die gleiche Laufbahn zu sichern, die ihm selbst und seinen Vorfahren beschieden gewesen war. Da nun die Ulema Priester waren, aber zugleich als Ausleger des Korans alle Richterstellen sowie alle Universitätsprofessuren innehalten und durch die Fetwa hoher und berühmter Geistlicher gewissermaßen auch als Gesetzgeber wirkten, so wäre von der Macht des Hauses Osman wohl nichts übriggeblieben, wenn der Padischah als Kalif nicht das Ein- und Absetzungsrecht über die Ulema ausgeübt hätte - allerdings ohne deren Leib und Leben antasten zu dürfen. Die wenigen geschichtlich verbürgten Fälle dieser Art waren nie gut für den Herrscher abgelaufen. Um einen erdrosselten Pascha kümmerte sich das Volk nicht viel. Ein hingerichteter Ulema galt ihm als Sakrileg.
Unter diesen Umständen war der Mufti, der Scheich des Islams, eine Macht, und es bewies Ibrahims Klugheit, daß er seine Alleinherrschaft nicht nur auf die Freundschaft des Kaisers, sondern auch auf die nach dem Großwesir stärksten zwei Säulen türkischer Reichsherrschaft stützte.
Die eine dieser beiden Säulen war der Träger des weißen Kaftans, Seine Heiligkeit der Mufti Abdullah Efendi, der sein Amt so lange wie Ibrahim das Großwesirat besaß. Der andere der beiden Hauptstützen Ibrahims vertrat weder Familienverbände noch eine Familie, weil es ihm unmöglich gewesen wäre, eine zu gründen. Er war ein Eunuch und vereinte in seinem Amt drei Machtpositionen von stärkster Auswirkung. Dieser Dritte war Seine hohe Exzellenz der Kislar Aga, der Mädchen Aga, Präfekt der schwarzen Eunuchen des Harems und selbst ein Schwarzer, Kurator der heiligen Städte Mekka und Medina sowie aller kaiserlichen Moscheen und Universitäten. Sein Name war Beschir. Elhadsch Beschir. Der Pilger Beschir.
Diese drei Männer der Macht und des kaiserlichen Vertrauens waren nach der eigentlichen Beratung mit Ministern und Generälen von der Erhabenheit des regierenden Sultans noch zurückgehalten worden. Gleichzeitig hatte sich das strenge Zeremonial gelockert. Eine Vereinigung von drei Personen außer der allerhöchsten war zu wenig zahlreich, als daß sich in ihr ein Zeremonial so recht hätte entfalten können. Den Herren war es also ohne große Schwierigkeiten möglich, einen Kaffeeraum aufzusuchen, der an ein Gewächshaus stieß. Doch so weit ging die Zügellosigkeit nun auch wieder nicht, daß eine Hoheit, eine Heiligkeit und eine hohe Exzellenz in Gegenwart Seiner Erhabenheit ebenfalls ihr Nargileh und ihren Kaffee bekommen hätten. Nur für den Kaiser selbst erschien, in die Seide seiner hohen Würde gekleidet, der oberste Tabakbewahrer mit dem kaiserlichen Nargileh, in dessen eingekerbtes sammetweiches Deckblatt ein Splitter glühender Holzkohle versenkt war, und ferner der gleich vornehme oberste Kaffeekoch, der auf einem ihm nachgetragenen Kohlenbecken den Kaffee für den Kalifen bereitete.
Und gerade dabei geschah das Unvorhergesehene, das, wie alles Unvorhergesehene, für das Zeremonial ein Unglück war: Durch die geöffnete Tür des Gewächshauses kam ein allerliebster Wellensittich in den kleinen Kaffeeraum geflattert, tummelte sich dort ein wenig und ließ sich nun auf dem ihm so vertrauten Turban der
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