Der ewige Gaertner
jedenfalls.«
»Und wie sah dieses klinische Beweismaterial aus?«
»Fallgeschichten. Insgesamt siebenunddreißig. Sehr detailliert. Name, Adresse, Behandlungsablauf, Ort und Datum der Beerdigung. Immer dieselben Symptome. Schläfrigkeit, Erblinden, Blutungen, Leberkollaps, Bingo.«
»Bingo heißt Tod?«
»Sozusagen. Wenn Sie so wollen. Anzunehmen. Ja.«
»Und was hat KVH zu dem Material gesagt?«
»Sie nannten es unwissenschaftlich, induktiv, voreingenommen, tendenziös … emotionalisiert. Das Wort hatte ich noch nie gehört. Emotionalisiert. Soll wohl heißen, man ist so engagiert, dass man nicht mehr vertrauenswürdig ist. Bei mir ist es umgekehrt. Ich bin ent-emotionalisiert. Keine Emotionen mehr. Je weniger man empfindet, desto lauter schreit man. Desto größer ist das Vakuum, das man zu füllen hat. Nicht man. Ich.«
»Wer ist Lorbeer?«
»Tessas Schreckgespenst.«
»Warum?«
»Er war die treibende Kraft hinter Dypraxa. Hat für das Medikament gekämpft. Hat KVH dazu gebracht, es zu entwickeln, hat ThreeBees davon überzeugt. Mit faulen Argumenten, wie Tessa meinte.«
»Sagt sie, dass Lorbeer sie verraten hat?«
»Warum sollte sie? Wir alle haben sie verraten.« Woodrow weinte hemmungslos. »Sie doch auch! Hocken untätig rum und züchten Blumen, während Ihre Frau da draußen zur Märtyrerin wird!«
»Wo ist dieser Lorbeer jetzt?«
»Keine Ahnung. Niemand weiß das. Als er merkte, woher der Wind wehte, ist er abgetaucht. ThreeBees hat eine Weile nach ihm gesucht, es dann aber aufgegeben. Tessa und Bluhm haben sich auf die Jagd gemacht. Sie brauchten Lorbeer als Hauptzeugen. Wollten ihn unbedingt finden.«
»Emrich?«
»War an der Entwicklung des Medikaments beteiligt. Ist einmal hier gewesen. Hat versucht, KVH zu stoppen. Keine Chance. Wurde kaltgestellt.«
»Kovacs?«
»Dritte im Bunde. Alleinbesitz von KVH. Offenbar ein Flittchen. Habe sie nie kennen gelernt. Lorbeer habe ich mal gesehen, glaube ich. Großer, fetter Bure. Glupschaugen. Rote Haare.«
Woodrow fuhr erschrocken herum. Justin stand unmittelbar hinter ihm. Er hatte ein Blatt Papier neben den Tintenlöscher gelegt und hielt Woodrow einen Kugelschreiber hin, mit dem stumpfen Ende voran, so, wie höfliche Leute einander etwas reichen.
»Das ist eine Reisegenehmigung«, erklärte Justin. »Von Ihrer Behörde.« Er las Woodrow den Text vor: »›Der Inhaber ist britischer Staatsbürger und reist im Auftrag des britischen Hochkommissariats Nairobi.‹ Unterschreiben Sie.«
Woodrow hielt das Blatt ins Kerzenlicht und warf einen kurzen Blick darauf. »Peter Paul Atkinson. Wer zum Teufel ist das denn?«
»Steht doch da. Ein britischer Journalist. Schreibt für den Telegraph . Falls jemand beim Hochkommissariat anruft, um das nachzuprüfen, sagen Sie, ja, er ist Journalist und genießt einen guten Ruf. Können Sie sich das merken?«
»Und was will er in Loki? Am Arsch der Welt? Ghita war auch schon da. Eigentlich müsste ein Foto drauf sein, oder?«
»Dafür wird noch gesorgt.« Woodrow unterschrieb, Justin faltete das Blatt zusammen, schob es in die Tasche und ging steif zur Tür zurück. Eine ganze Reihe taiwanesischer Kuckucksuhren verkündete, dass es ein Uhr morgens war.
***
Mustafa wartete mit seiner Taschenlampe am Bordstein, als Justin in Ghitas Kleinwagen vorfuhr. Offenbar hatte er auf das Motorengeräusch gewartet. Woodrow, der noch nicht bemerkt hatte, dass er zu seinem eigenen Haus zurückgebracht worden war, starrte, die Hände auf dem Schoß zusammengepresst, durch die Windschutzscheibe, während Justin sich über ihn beugte und durch das offene Beifahrerfenster mit Mustafa redete. Er sprach Englisch, versetzt mit den wenigen Brocken Küchen-Kisuaheli, die er beherrschte.
»Mr Woodrow geht es nicht gut, Mustafa. Sie haben ihn an die frische Luft begleitet, weil er sich übergeben musste. Bringen Sie ihn in sein Schlafzimmer, bitte. Er soll sich hinlegen, bis Mrs Woodrow nach ihm sehen kann. Und sagen Sie bitte Miss Ghita, dass ich gleich fahre.«
Woodrow war schon halb ausgestiegen, als er sich noch einmal zu Justin umdrehte. »Sie erzählen Gloria doch nichts davon, oder? Das würde nichts bringen, jetzt, wo Sie ohnehin alles wissen. Sie hat nicht unseren Weitblick. Schließlich sind wir alte Kollegen und so weiter. In Ordnung?«
Wie jemand, der eine Verpackung berührt, deren Inhalt ihm zuwider ist, der sich das aber nicht anmerken lassen will, zog Mustafa Woodrow aus dem Wagen und begleitete ihn zur Haustür.
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