Der ewige Gaertner
Eindruck.
»Ich brauche die Zusicherung, dass wir Londons volle Rückendeckung in dieser Sache haben«, legte Woodrow los, ohne Platz zu nehmen.
»Mit wir meinen Sie wen genau?«
»Sie und mich.«
»Und mit London meinen Sie Pellegrin, nehme ich an.«
»Wieso? Hat sich irgendwas geändert?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Oder soll sich was ändern?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Nun, drücken wir’s mal so aus: Hat Pellegrin Rückendeckung?«
»Oh, Bernard genießt immer Rückendeckung.«
»Bleiben wir also bei unserem Kurs oder nicht?«
»Bleiben wir dabei zu lügen, meinen Sie? Selbstverständlich.«
»Warum können wir uns dann nicht einigen auf – auf das, was wir sagen?«
»Gute Frage. Ich weiß nicht. Wäre ich ein gottesfürchtiger Mann, ich würde mich davonschleichen und beten. Aber so leicht ist das verdammt noch mal nicht. Das Mädchen ist tot. Das ist das eine. Und wir leben. Das ist das andere.«
»Also haben Sie ihnen die Wahrheit gesagt?«
»Nein, nein, um Gottes willen. Hab ’n Gedächtnis wie ’n Sieb. Tut mir ganz furchtbar Leid.«
» Werden Sie ihnen die Wahrheit sagen?«
»Denen? Nein, nein, niemals. Alles Arschlöcher.«
»Warum können wir dann unsere Aussagen nicht abstimmen?«
»Genau. Warum nicht? Warum eigentlich nicht? Sie haben es erfasst, Sandy. Was hindert uns daran?«
***
»Es geht um Ihren Besuch im Uhuru-Krankenhaus, Sir«, nahm Lesley den Faden kurzerhand wieder auf.
»Ich dachte, das Thema hätten wir bei unserer letzten Sitzung abgehakt.«
»Nein, Ihr anderer Besuch. Der zweite. Ein bisschen später. Die Einlösung sozusagen.«
»Die Einlösung? Wovon?«
»Eines Versprechens, das Sie ihr offenbar gegeben haben.«
»Wovon reden Sie? Ich verstehe Sie nicht.«
Rob dagegen verstand Lesley sehr gut, was er nicht verschwieg: »Es war doch eigentlich ganz deutlich ausgedrückt, Sir. Haben Sie sich ein zweites Mal mit Tessa im Krankenhaus getroffen? Etwa vier Wochen nach ihrer Entlassung vielleicht? Haben Sie sich im Warteraum der gynäkologischen Station getroffen, wo sie einen Termin hatte? So steht es nämlich in Arnolds Aufzeichnungen, und bisher hat sich alles bestätigt, was dort steht, jedenfalls soweit ungebildete Leute wie wir das beurteilen können.«
Arnold , konstatierte Woodrow. Nicht mehr Bluhm.
Der Soldatensohn in ihm ging mit sich zu Rate, und er tat es mit jener eiskalten Überlegung, die sich in allen Krisensituationen bisher als seine größte Tugend erwiesen hatte. Gleichzeitig lief allerdings in seiner Erinnerung die Szene in dem überfüllten Krankenhaus ab, als hätte eine andere Person sie erlebt. Tessa hat eine Korbtasche mit Bambusgriffen bei sich. Er sieht das Ding zum ersten Mal, aber für den Rest ihres kurzen Lebens wird es zum Bild der zähen Frau gehören, das sie nach dem Tod ihres Babys von sich geschaffen hat, damals als sie im Krankenhaus das Zimmer mit einer sterbenden Frau geteilt und deren Baby gestillt hat. Dazu passten das sparsamere Make-up, das kürzere Haar und der finstere Blick – der sich nicht sehr von dem ungläubigen Starren unterschied, mit dem Lesley ihn in diesem Moment bedachte, während sie auf die bearbeitete Version des Ereignisses wartete. Die Lampen flackern, wie überall in diesem Krankenhaus. Breite Streifen von Sonnenlicht zerschneiden das Halbdunkel. Kleine Vögel flattern zwischen den Balken hin und her. Tessa lehnt mit dem Rücken an einer schiefen Wand, gleich neben einer übel riechenden Cafeteria mit orangefarbenen Stühlen. Und obwohl sich eine Unmenge von Menschen durch den Raum schiebt, sieht er sie sofort. Sie hält ihre Korbtasche mit beiden Händen an den Unterbauch gepresst, und die Art, wie sie da steht, erinnert ihn daran, wie die Nutten damals in den Torwegen und Eingängen gelehnt hatten, als er noch jung und leicht zu beeindrucken war. Die Wand liegt im Schatten, weil die Sonnenstrahlen nicht bis in die Ecken des Raumes reichen, und vielleicht ist das der Grund, weshalb Tessa sich gerade diesen Platz ausgesucht hat.
»Sie sagten, Sie würden mich anhören, wenn ich zu Kräften gekommen bin«, erinnert sie ihn mit leiser, rauer Stimme, die er kaum wiedererkennt.
Es ist seit seinem Besuch bei ihr auf dem Krankenzimmer das erste Mal, dass sie ein Wort miteinander wechseln. Er bemerkt, wie zerbrechlich ihre Lippen ohne den disziplinierenden Lippenstift wirken. Er bemerkt die Leidenschaft in ihren grauen Augen, und sie macht ihm Angst, wie ihm alle Leidenschaft Angst macht,
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