Der ewige Held 02 - Der Phönix im Obsidian
das schwere Boot hinter sich herziehen konnten. Trotz der Halbdämmerung war das Geweih des Hirsches immer noch zu erkennen und, nur wenig weiter entfernt, die Umrisse einer Spitze aus Obsidianstein, die zweifellos zu demselben Gebirgszug gehörte wie der Felsen, in den Rowenarc hineingemeißelt worden war.
»Dort!« Der Harpunier streckte die Hand aus. Grimmig umklammerte er die mit Widerhaken versehene Lanze. Ich bückte mich und hob eine herrenlose Harpune auf.
»Bereithalten!« rief Morgeg vom Oberdeck.
Der Hirsch war verschwunden, aber die kleine Insel aus glasigem Fels war deutlich zu sehen. Das Meeresfahrzeug beschrieb einen Bogen, als die Zugtiere den Felsen auswichen. Wir erkannten das dunkle Maul einer Höhle.
Wir hatten den Unterschlupf des Geschöpfes gefunden.
Aus dem Innern der Höhle ertönte ein beinahe Mitleid erregendes, schmerzvolles Schnaufen.
Und dann kam von oben der überraschende Befehl:
»Bereitmachen zum Vonbordgehen!«
Belphig wollte seine Männer - nur mit der Harpune bewaffnet, in die Höhle gehen lassen!
IX
DAS GEMETZEL IN DER HÖHLE
Und so gingen wir von Bord.
Alle, bis auf Belphig, sein Gefolge und die Treiber am Bug, durchwateten das flache Wasser und suchten Halt an den schlüpfrigen Felsen. Ich hielt meine Kriegsaxt in einer Armbeuge, in der anderen Hand die Harpune. Belphig blickte uns vom Oberdeck nach und winkte.
»Viel Glück, Graf Urlik. Wenn Ihr den Hirsch tötet, könnt Ihr Eurer langen Liste eine weitere Heldentat hinzufügen .«
Ich hielt die ganze Jagd für sinnlos und grausam, aber ich hatte das Gefühl, daß ich mit den anderen gehen mußte, um zu Ende zu bringen, was wir angefangen hatten - entweder den Hirsch zu töten oder von ihm getötet zu werden.
Mit einiger Schwierigkeit umrundeten wir den Fels, bis wir den Höhleneingang erreicht hatten. Aus der Öffnung drang ein fürchterlicher Gestank, als hätte das Tier bereits begonnen zu verwesen.
Der Mann, der mich vorher schon einmal angesprochen hatte, sagte: »Das ist der Gestank von seinem Mist. Der Seehirsch ist kein reinliches Tier.«
Nun war ich noch weniger erpicht darauf, die Höhle zu betreten.
Ein lautes Brüllen ertönte, als der Seehirsch uns witterte.
Die Harpuniere standen unschlüssig vor der Höhle. Keiner wollte der Erste sein.
Endlich, mit trockenem Mund, aber fest entschlossen, drängte ich mich nach vorn, packte meine Harpune fester und trat in die finstere Öffnung.
Der Geruch war ekelerregend und ich glaubte, daran ersticken zu müssen. Vor mir gab es eine Bewegung und schattenhaft erkannte ich die Umrisse des riesigen Geweihs. Gleichzeitig ließ das Untier ein lautes Grunzen hören. Die gewaltigen Flossen schlugen gegen den Fels. Ich ahnte einen langen, muskulösen Körper, der in einen breiten, platten Schwanz auslief.
Die übrigen Männer folgten mir. Einem von ihnen nahm ich die Fackel ab und drückte den Knopf am Griff. Mattes Licht erhellte die Höhle.
Den Schatten des Seehirschen sah ich zuerst und dann das Tier selbst. Es drückte sich gegen die Wand rechts von mir, Blut floß aus seinen Wunden, der gedrungene Körper wirkte an Land noch gewaltiger als im Wasser.
Mit den Vorderflossen schob es sich herum. Es senkte drohend den Kopf, aber es griff nicht an. Es warnte uns. Es gab uns die Möglichkeit, ohne Kampf die Höhle zu verlassen.
Ich war versucht, die Männer zurückzurufen, sie aus der Höhle zu führen, aber ich hatte keine Befehlsgewalt über sie. Bischof Belphig war ihr Herr und er würde sie bestrafen, wenn sie ihm nicht gehorchten.
Deshalb, weil ich wußte, daß es das Tier reizen würde, schleuderte ich die Harpune auf sein linkes Auge.
Es wandte den Kopf, gerade als die Lanze aus meiner Hand flog und die Spitze streifte nur die Schnauze.
Es griff an.
Völlige Verwirrung brach aus. Männer schrien, suchten auszuweichen, suchten nach einer Möglichkeit für einen gezielten Wurf, wichen zurück, wurden von den Geweihzacken aufgespießt.
Als es den Kopf hob, hingen drei Männer an den scharfen Spitzen, drei völlig durchbohrte Körper. Zwei waren tot. Einer lebte noch. Er ließ ein mattes Stöhnen hören.
Ich konnte ihm nicht helfen. Der Hirsch schüttelte den gewaltigen Schädel, um sich von den Leichen zu befreien, aber sie blieben wo sie waren.
Ein Gedanke nahm langsam Gestalt an.
Aber dann senkte der Hirsch den Kopf und griff erneut an. Ich sprang beiseite, schwang die langstielige Axt und brachte ihm eine Wunde an der linken Schulter bei. Er
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