Der Facebook-Killer
Seele.
Aber er wusste, da draußen waren auch seine Leute unterwegs. Khalil, Mafro, ja sogar Dr. Wolf – sie alle hatten es sich nicht nehmen lassen, bei diesem entscheidenden Zugriff dabei zu sein. Er konnte es ihnen nicht verdenken, auch wenn er erneut versucht hatte, es Mafro wegen zu starker persönlicher Betroffenheit auszureden. Aber wie er hier so vorsichtig im nassen Unterholz Fuß vor Fuß setzend durchs morgendliche Waldhalbdunkel schlich und sich seine nagelneuen Bugatti-Slipper ruinierte, hatte er auch Angst um die Psychologin – und nicht nur um sie: um jeden Einzelnen. Denn sie waren für so etwas ganz und gar nicht trainiert – und am allerwenigsten er selbst.
Dann kam das schlichte Betongebäude am Ende eines abschüssigen Hohlwegs in Sicht. Der Mann in diesem heruntergekommenen Wochenendhaus war klug. Vor dreieinhalb Jahren hatte er seinen ersten Mord begangen, seit zwei Jahren hielt er die Pariser Polizei und das DSCS zum Narren. Er war selbst Polizist, er hatte jeden Lehrgang besucht, den er kriegen konnte, war bestens informiert und wusste genau, wie sie vorgingen.
Und er hatte neun Menschen getötet, zum Teil auf bestialische Weise, weil ihm seine Frau untreu gewesen war.
Wieder machte René Bavarois sich an dem Funkgerät zu schaffen. „Nochmal Bavarois hier. An alle: Ich erinnere daran, dass wir momentan noch davon ausgehen, Patricia Kaplan lebend befreien zu können. Niemand unternimmt etwas, das den Gesuchten zu Kurzschlusshandlungen verleiten könnte.“ Nach einer Pause fügte er dumpf hinzu: „Wenn ihr ihn klar im Visier habt und Mademoiselle Kaplan lebt, sorgt dafür, dass sie nicht sein zehntes Opfer wird.“
Der Berber und die beiden GIGN-Männer, die er sehen konnte, sahen zu ihm herüber und bestätigten stumm durch Heben des Daumens, dass sie verstanden hatten.
Wo waren Mafro und die Wölfin? Warum konnte er sie nicht sehen?
Plötzlich ertönte aus seinem Ohrhörer die klare, ruhige Stimme Franck Fanons, des Einsatzleiters des GIGN. „Monsieur le Commandant, wir brauchen noch …“
Statisches Rauschen. Mit einem unterdrückten Fluch riss sich Bavarois den Knopf aus dem Ohr und fummelte an dem an den Kragen seines Anoraks angeclipten Funkgerät herum. Dann steckte er den Ohrhörer wieder in seine Ohrmuschel und murmelte: „Fanon, bitte kommen. Sagen Sie das nochmal. Was brauchen Sie?“
Nach einer Sekunde stellte Fanon in seinem Ohr die alles entscheidende Frage: „Was ist mit Zoë Ionesco?“
Ehe Bavarois eine diplomatische Antwort versuchen konnte, war Geza Wolfs Stimme über Funk zu vernehmen: „Wir haben bisher keinen Leichnam von Mademoiselle Ionesco gefunden. Also lebt auch sie für uns noch.“
Bavarois stöhnte innerlich auf. Diese Deutsche! Er wollte eingreifen, aber diesmal kam ihm Fanon zuvor: „Ich halte es für wahrscheinlicher, dass dieses Tier sie schon vor Wochen getötet und dann irgendwo hier in diesem gottverdammten Wald abgeladen hat. Dann darf sich Zach wieder mal über Tierfraß am Untersuchungsgegenstand freuen.“ Bavarois zuckte zusammen; zu deutlich standen ihm die Fotos der Leiche der Krankenschwester Léa Gerzon, vor Augen, die über ein halbes Jahr im Wald Wetter und Fauna ausgesetzt gewesen war.
„Zoë lebt. Das spüre ich,“ kam Mafros von Statik leicht verzerrte Stimme über Funk.
Bavarois warf einen verzagten Blick ins dichte Gehölz ringsum. Er ging eher davon aus, dass sie im Falle Zoë Ionescos niemals Gewissheit haben würden.
„Also, Vorgehensweise?“, insistierte Fanon.
Bavarois fasste sich ein Herz. Vorsichtig weiter pirschend sagte er halblaut in sein Mikrofon: „Mafro, sie ist seit fast vier Wochen verschwunden. So lange hat er noch kein Opfer am Leben gelassen.“ Pause. Tief Luft holen. Dann: „Sie ist tot, Mafro.“
Keine Reaktion. Innerlich kochte Bavarois vor Wut über Geza Wolf. In seinen Augen war ihre Einlassung per Funk vollkommen unverantwortlich gewesen. Sie hätte wissen müssen, dass die Wahrscheinlichkeit fast hundert Prozent war, dass der Killer Zoë Ionesco getötet hatte, ehe er sich in Gestalt von Patricia Kaplan ein neues Opfer suchte.
Mafro pirschte durch den Wald wie in Trance, die Dienstwaffe in beiden Händen halbhoch vor sich haltend. Nach Bavarois’ letzten Worten hatte er sein Funkgerät einfach ausgeschaltet.
Ein paar Meter links von ihm versuchte Geza Wolf, einigermaßen lautlos durch den Wald voranzukommen. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Atem ging stoßweise … körperliche
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