Der Facebook-Killer
Täter“, sagte Geza mit Bestimmtheit. „Er mag seine Tötungsart wechseln, aber das Geschlecht, auf das ein Serientäter seinen Hass projiziert, wird immer gleich bleiben.“
„Das mag sein“, antwortete Fronzac ausweichend.
„Warum will Bavarois dann, dass wir uns das ansehen?“
„Kommen Sie bitte“, entgegnete Fronzac und eilte zur Tür. „Ich erkläre es Ihnen unterwegs.“
„Was wissen Sie über La Villette?“, fragte er, kaum dass er seinen Dienstwagen vom Parkplatz der Präfektur gelenkt und in den Pariser Mittagsverkehr eingefädelt hatte.
„Nichts. Erleuchten Sie mich.“
„La Villette ist eines der 80 Quartiers unserer herrlichen Stadt“, begann Fronzac mit seiner angenehmen Stimme zu erzählen, „genauer gesagt das 73. Es liegt im nordöstlichsten Teil der Stadt, grenzt an die Gemeinde Saint-Denis – die schon nicht mehr Teil von Paris ist – und gehört zum 19. Arrondissement. Bis Ende des 18. Jahrhundert war das eine idyllische, bewaldete Gegend. 1808 verband man sie durch ein Aquädukt mit Paris, das 1825 zu einem schiffbaren Kanal wurde – dem sogenannten Canal de l’Ourcq. 1860 hat man La Villette dann eingemeindet.
Auf Befehl Kaiser Napoleons III. bat der Pariser Stadtrat den Präfekten der Seine sechs Jahre später, die Viehmärkte der nahegelegenen Gemeinden Poissy und Sceaux auf ein Gebiet innerhalb der Pariser Stadtgrenzen zu verlagern. Der Ort der Wahl dafür war der heutige Parc de la Villette, also genau die damals gerade erst eingemeindete ländliche Gegend. Der Architekt Janvier entwarf das Schlachthaus und den Viehmarkt nach dem Vorbild der alten
Halles
im Stadtzentrum – die kennen Sie ja bestimmt. Schnell kam zu dem Viehmarkt ein Güterbahnhof hinzu, und La Villette wurde zu einem Brennpunkt der Pariser Wirtschaft.
Das Schlachthaus von La Villette zählte bald zu den Institutionen mit den meisten Angestellten in Paris. Zur Fleischindustrie kamen Nebenprodukte wie Leder hinzu und brachten noch zusätzlich den Gestank der Gerbereien. So ging das bis nach dem Zweiten Weltkrieg.
1949 beschloss der Stadtrat dann die Sanierung des Schlachthauses, das in der Zwischenzeit veraltet, zu klein und unhygienisch geworden war und dessen bestialischer Gestank die Nachbarn störte. Doch wie so oft war das Geld knapp: Die Finanzierung wurde nicht direkt bewilligt. Erst zehn Jahre später begann die Sanierung ernstlich. Ein weiteres Jahrzehnt später, 1969, wurde der neue Gebäudekomplex partiell eröffnet und mit damals hochmodernen Kühlanlagen ausgestattet. Man konnte nun an anderen Orten als dem Marktplatz schlachten. Daraufhin nahmen die Bestellungen ab, und die Beschäftigung ging stark zurück, was zu schwerwiegenden Wirtschaftsproblemen führte.
1974 setzte der Staat der über ein Jahrhundert alten Schlachthaustradition La Villettes, einer Tradition von Blut, rohem Fleisch und wahrhaft bestialischem Gestank, schließlich ein Ende. Man riss die kaum benutzten, brandneuen Gebäude ab, und zurück blieb eine große Industriebrache.“
„Na großartig“, kommentierte Geza. „Aber Sie sagten vorhin etwas von einem Park, der sich jetzt dort befindet?“
„Ja“, nickte Fronzac. „Im Bereich der früheren Schlachthöfe entstand seit 1983 der Kommunikations- und Museumspark La Villette. Es gibt dort wechselnde Ausstellungen, eine Mediathek, ein Planetarium, die sogenannten
Salles de Découverte
, in denen man technische Abläufe experimentell kennenlernen kann, ein Konservatorium und vieles mehr. Der Park ist nicht statisch, sondern wird ständig verändert.
Überall auf dem Gelände verteilen sich die sogenannten
Folies
, knallrote Stahlpavillons und -konstruktionen irgendeines Schweizer Designers, der den Park geplant hat. Einige davon sind wirkliche Gebäude, andere sind abstrakte Skulpturen.
Die
Folies
sollen durch ihr Knallrot optische Akzente setzen und deutlich machen, dass der Park in seiner Gesamtheit nicht natürlich, sondern eine von Menschenhand geschaffene, urbane Struktur ist.“
Bei diesen letzten Worten lenkte Fronzac den Wagen auf einen zwischen übermannshohen Hecken verlaufenden Dienstweg.
Während Geza heftig gegen das Zufallen ihrer Augen ankämpfte und sich muffig eingestehen musste, dass sie an diesem Tag noch überhaupt nicht richtig wach geworden war, erreichten sie eine rot-weiß gebänderte Schranke, an der zwei Männer standen, offenbar Kollegen Fronzacs. Der hielt den beiden seinen Dienstausweis entgegen und stieg aus. Geza tat es ihm
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