Der Facebook-Killer
hier, also … Maxime Fronzac. Ich hatte eben gerade die Gerichtsmedizin in der Leitung – es hat anscheinend neue Entwicklungen gegeben. Treffen Sie mich doch in der Pathologie. Das ist im Keller der Präfektur. Noch ein Tipp: Bringen Sie ein paar frische Croissants aus der Brasserie bei mir unten an der Ecke mit.
Le Grillon
heißt sie. Raphaël liebt die Dinger, und sie machen den alten Griesgram immer viel zugänglicher. Ach, und falls sie noch nicht auf sein sollten: Sputen Sie sich. Sie wissen ja, wie man sagt – der frühe Vogel fängt den Wurm, Frau Doktor.“
Klick.
Fronzac hatte gnädigerweise aufgelegt.
„Der frühe Vogel … kann mich mal“, brummte Geza vor sich hin und raffte sich endlich auf. Ein zwinkernder Blick an sich herunter brachte die Erkenntnis, dass sie fast vollständig bekleidet geschlafen hatte. Nur ihr Hoodie fehlte – es lag zum improvisierten Kissen zusammengeknüllt auf der Armlehne der durchgelegenen Couch, wo sich zwei Minuten zuvor noch ihr Kopf befunden hatte –, und ihre dicken Stiefel konnte sie durch die offene Tür des Wohnzimmers draußen im Flur neben der Kommode mit der pseudoantiken Vase stehen sehen, in die Fronzac beim Heimkommen immer seine Schlüssel zu werfen pflegte.
Geza gähnte ausgiebig und schlurfte auf Socken tapsig Richtung Badezimmer, da schrillte das Telefon erneut. Genervt nahm sie den Hörer ab.
„Ich bin schon unterwegs! Was ist denn noch?“, bellte sie hinein, ganz ihr charmantes, ausgeglichenes Morgen-Ich.
„Mit … mit wem spreche ich denn bitte?“, fragte eine halb irritierte, halb eingeschüchterte Stimme, die Gezas Einschätzung nach einer ziemlich jungen Frau gehören musste.
„Dr. Geza Wolf – und mit wem habe ich bitte das Vergnügen?“
„Mein Name ist Zoë Ionesco. Ist Mafro da? Ich meine, Maxime Fronzac?“
„Nein, Monsieur Fronzac ist …“, setzte Geza an.
„Ach, ist ja auch egal.“
Wieder das Klicken in der Leitung. Geza seufzte tief. Sie freute sich jetzt schon darauf, Fronzac von diesem Anruf zu berichten – und zu hören, was er ihr so Dringendes zu sagen hatte. Die Dusche würde warten müssen.
17.2.2011, 11:38
Préfecture de Police
Rue de la Cité, Paris
Die Tüte mit den Croissants vor die Brust gepresst, die beim Einsteigen ins noch warm gewesen waren, eilte Geza Wolf den langen, in sterilem Weiß gefliesten Korridor im Keller der Präfektur entlang.
Sie hasste gerichtsmedizinische Institute, die mit ihnen verbundenen Anblicke und Gerüche abgrundtief. Der Gestank des Todes hing an Orten wie diesen unabänderlich in der Luft. Geza ging mit ziemlicher Sicherheit davon aus, dass ihnen Raphaël Zach, der Pathologe, irgendeinen ergänzenden Befund an der Leiche der Stewardess würde zeigen wollen, und sie konnte sich vor dem Frühstück wahrlich Schöneres vorstellen.
Aber Fronzac hatte bei ihrem einseitigen Telefonat nicht geklungen, als habe sie in dieser Frage eine große Wahl.
Nur noch ein paar Schritte bis zu der schweren, ebenfalls weißen, aber im Gegensatz zu den Wänden irgendwie vergilbt wirkenden Doppelschwingtür, hinter der das Reich des Todes begann. Ein Flügel stand offen. Sie hatte in ihrer Zeit bei der Polizei einfach ein paarmal zu oft sein Reich betreten müssen. Hatte wie Charon, der schweigsame Fährmann, Menschen hinein begleitet, die ihre Lieben dort hatten identifizieren müssen. Hatte die völlige Apathie gesehen. Den Schmerz. Das Grauen. Die Fassungslosigkeit.
Sie hatte selten etwas für diese Menschen tun können.
Aber seit DER SACHE wusste sie, dass der Verlust eines geliebten Menschen keineswegs das Schlimmste war, was einem widerfahren konnte.
Das bei weitem Schlimmste war der Verlust der eigenen Seele.
Fronzacs Stimme, die durch den offenen Türflügel aus dem Sektionssaal drang, riss sie aus den trüben Gedanken: „Also doch keine Rauchvergiftung? Obwohl sie gefesselt in einem Schrank in einem Gebäude eingesperrt war, das lichterloh in Flammen stand?“
Geza blieb abrupt vor der Tür stehen. Da war ein neuer Ton in Fronzacs Stimme, einer, der zeigte, wie rasch er Fortschritte auf dem Weg der Besserung machte: Geza hörte deutliche Verärgerung wegen falsch kommunizierter Informationen. Vorsichtig trat sie einen Schritt näher, um auch ja kein Wort der Unterhaltung drinnen zu verpassen.
„Ich sagte dir doch gestern, das sind erste Hypothesen. Jetzt, nach der Obduktion, kann ich dir sagen, dass sich in der Lunge des Opfers keinerlei Spuren von Rauch
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