Der Facebook-Killer
Mädchenpläne habe ihr bisher nur der Mann zur Umsetzung gefehlt – und in seinen schwarzen Momenten hatte er gedacht, es hätte statt seiner auch irgendein beliebiger Anderer sein können. Den „Hochzeitsordner“ hatte er an dem Morgen, nachdem sie ja gesagt hatte, zum ersten Mal gesehen, und von da an hatte er sich zu ihrem ständigen Begleiter gemausert. Die wenigen sich aktuell ergebenden Fragen entschied sie zusammen mit ihrer Mutter Wanda. Seine Meinung war im Grunde zu keinem Zeitpunkt gefragt gewesen.
Nun, sie hatte den „Mann ihrer Träume“, wie sie in der (selbstverständlich genau wie die Tischkarten auf teures, cremefarbenes Papier gedruckten) Einladungskarte schrieb, gefunden. Der große Tag der beiden war ein Montag, einer, der für den frühen Frühling in Frankreich sehr warm war. Die Getränke hatte Marie-Anges Familie, die seit Wochen von nichts anderem mehr sprach als von der Hochzeit ihrer Tochter mit ihm, schon am Wochenende zuvor aufgebaut und zu kühlen vergessen – Wasser wie Wein. Sie hatten in einem Schlosshotel am Rande des Bois de Boulogne feiern wollen, aber das hatte er nicht gewollt – eine Fahrt von einer Dreiviertelstunde in so ein widerwärtiges Luxusambiente, das hatte ihm nicht gefallen. In diesem einen Punkt hatte er sich durchgesetzt. Die Fenster des Gemeindesaales, den sie stattdessen angemietet hatten, sollten wegen der Lärmbelästigung geschlossen bleiben, hatte man ihnen eingeschärft. Der Saal gehörte zum Gemeindehaus der Kirchgemeinde, in der das Haus lag, das er und Marie-Ange direkt nach der Ehe zu beziehen gedachten. Die ununterbrochenen Ermahnungen kamen von einem seltsamen, dicken, irgendwie knorrigen, wohl ursprünglich einmal aus Polen immigrierten Kirchendiener mit riesiger, roter Schnapsnase, der eine Einliegerwohnung in dem Festsaal bewohnte und französisch nur unzulänglich sprach.
Aber egal – er hasste Lärm ohnedies. Zu einer Hochzeit gehörte für ihn Harmonie. Bereits bei der Begrüßungsansprache hatte er erwähnt, dass sie den Saal wegen der drohenden Lärmbelästigung nur bis ein Uhr hatten anmieten können, was zu spöttischen Kommentaren und dem einen oder anderen Buhruf von Leuten, die er persönlich gar nicht kannte, geführt hatte. Die Musik, von der er befürchtet hatte, sie würde sich als Quelle dieser Lärmbelästigung erweisen, war denn auch tatsächlich zum Streitpunkt unter den Gästen geworden. Sie hatten Marie-Anges Bruder und dessen Frau im Vorfeld damit beauftragt, den ganzen Abend über leise Hintergrundmusik einzuspielen, und die beiden hatten sich viele Gedanken gemacht. Sie hatten dem Brautpaar eine Playlist vorgelegt, so dass Marie-Ange und er ungefähr gewusst hatten, was sie aufzulegen gedachten. Er und Marie-Ange hatten den beiden ein Jahr zuvor denselben Liebesdienst erwiesen und quasi die DJs gemacht. Doch damit waren die Gäste nicht zufrieden. Dauernd dokterte irgendeiner an der Musikanlage herum und drehte sie leiser, lauter oder wollte andere Musik (die das Brautpaar aber nicht zu bieten hatte). Irgendwann hatten sein frischgebackener Schwager und dessen Frau frustriert aufgegeben, ihr Musikprogramm durchzudrücken, und zu trinken begonnen.
Leider hatte sich niemand an ihre Bitte gehalten, Beiträge zum Festprogramm unbedingt vorher mit den Trauzeugen abzustimmen. Stattdessen gab es massenhaft öde, angeblich „spontan eingebrachte“, furchtbare, von Peinlichkeit strotzende Spiele, wie sie jedes zweite Brautpaar durchleiden musste. Wenigstens kam er um die traditionelle Brautentführung herum …
Marie-Anges grenzdemente Patentante führte im Anschluss daran ein mindestens fünfundvierzig Minuten dauerndes Video aus den Kindertagen der Braut vor, in dem aber überwiegend „der neue Renault in Spanien“ oder „wir in unserem Ferienhaus in der Gascogne“ zu sehen waren; der sterbenslangweilige Film sagte nichts über das Mädchen mit den Marie-Ange-Zöpfen aus. Seine geliebte Braut, sein Engel litt augenscheinlich mit jeder Minute. Zum Abschluss gab es dann noch Squaredance für alle zum Mitmachen, angestiftet und ohne Gnade durchgezogen von einem der wenigen gemeinsamen Schulfreunde, die sie eingeladen hatten und der mittlerweile zu einem glühenden Anhänger dessen geworden war, was er als „einzigartige Kultur der USA“ bezeichnete. Das Programm, das bis dahin an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten war, endete mit dem einzigen, was er wirklich schön fand: einer kurzen Einlage eines alten Freundes
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