Der Fälscher aus dem Jenseits
und?«
»Lautrec ist mit siebenunddreißig gestorben, das wissen Sie doch genau.«
Am 6. Juli 1954 fand man William Laurens’ Leiche in der Bucht von San Francisco. Er hatte sich von der Golden Gate Bridge gestürzt, der Hängebrücke, die die beiden Ufer miteinander verbindet. Seit seiner letzten Begegnung mit dem Gemäldehändler hatte er kein einziges Bild mehr gemalt.
Im Chaos seines Ateliers fand man mehrere Blätter, die mit zittriger Schrift beschrieben waren: das Geständnis von William Laurens. Und so erhielt man auch die Lösung des Rätsels. Der junge Kuhhirte brachte die Dinge schnell auf den Punkt: »Gregor O’Brady hatte Recht: Diese Reinkarnationsgeschichte war nur eine Komödie, um Geld zu verdienen, und ich verstehe nicht, dass niemand es gemerkt hat.
Um die Wahrheit zu erraten, hätte man nur herausfinden müssen, wo ich gelebt habe, bevor ich mich in San Francisco als Kuhhirte verdingte. Ich hatte in Paris die Kunstakademie besucht. Damals glaubte ich, Talent zu besitzen, ja, genial zu sein, ich habe allen meine Werke gezeigt. Doch niemand hat sie gewollt. Man hat mich sogar verspottet. Die Leute interessierten sich nur für mich, wenn ich Reproduktionen anfertigte. Darin war ich sehr stark. Besonders gut konnte ich Toulouse-Lautrec nachahmen.
Ich empfand etwas Ähnliches wie Verzweiflung. Also kehrte ich in die Vereinigten Staaten zurück und verschanzte mich auf einer Farm. Wollte ich damit versuchen zu vergessen oder mich für meinen Misserfolg bestrafen? Vielleicht beides. Ich hatte mich an meine
Rolle als Dummkopf gewöhnt. Es war erholsam. Schließlich bin ich wirklich ein solcher geworden, als ich vom Pferd fiel.
Ein Sturz vom Pferd, wie jener, den Toulouse-Lautrec als Kind erfahren hat und der zur Folge hatte, dass er für immer behindert war. In diesem Augenblick hatte ich beschlossen, diese Komödie zu spielen. Und abgesehen von Gregor O’Brady sind alle darauf hereingefallen.
Ich hatte nur das Risiko nicht bedacht. Eine so geniale Persönlichkeit wie Lautrec lässt sich nicht so einfach nachahmen. Wenn man sich mit ihm identifizieren will, muss man bis zum Ende gehen. Da ich den gleichen Malstil hatte wie er, musste ich mich auch, genau wie er, durch den Alkohol zu Grunde richten.
Anfangs war es fast ein Spiel. Ich glaubte, ich könnte jederzeit aufhören. Der Situation wurde ich mir erst bewusst, als Gregor O’Brady ein letztes Mal bei mir war, doch da war es schon zu spät. Ich wusste, dass ich nicht älter als siebenunddreißig Jahre alt werden würde. In dem Alter ist Lautrec an den Folgen seiner Alkoholexzesse gestorben. Ich war in meiner eigenen Falle gefangen.«
Außer dem Geständnis fand man einige Gemälde, die nicht von Lautrec stammten. Es waren Bilder, die William Laurens in seiner Jugend gemalt hatte und die ihm so viel Kummer verursacht hatten. Es waren Porträts mit verzerrten Konturen. Als Gregor O’Brady sie sah, schüttelte er den Kopf: »Sehr interessant! Schwer zu verstehen, aber sehr interessant. William hätte ein großer Maler werden können. Schade...«
Eine verblüffende Angelegenheit
Frankreich, 1950. Nachdem Rémy Le Sidaner, ein tüchtiger junger Mann, das ganze Jahr gespart hatte, fuhr er nach Rom in Urlaub. Doch nach ein paar Tagen langweilte er sich dort. Er hatte keine Flirts, kein besonderes Erlebnis, alles war zu ideal und die Sonne brannte heiß. Er hatte auch keine Sprachprobleme, da er fließend Italienisch sprach. Außerdem schien hier jeder, bis zu den Bettlern, Französisch zu sprechen.
Plötzlich wurde Rémy, als er eine antike Säule betrachtete, von einem schmucken Offizier auf Englisch angesprochen. Der Mann erklärte ihm mit unverkennbarem südamerikanischen Akzent, dass er Pilot einer brasilianischen Fluggesellschaft sei, kein Wort Italienisch spreche und jemanden suche, der ihm als Dolmetscher helfen könne. Er müsse noch am selben Tag eine sehr wichtige Angelegenheit erledigen, bevor er nach Brasilien zurückkehre.
Kurz darauf saßen Rémy und der brasilianische Pilot an einem Tisch, ein Glas Dessertwein vor sich, und der Pilot berichtete Einzelheiten über diese so dringliche Angelegenheit. Er komme aus der Schweiz, wo er unter sehr interessanten Bedingungen einen ganzen Posten erstklassiger Uhren erworben hätte. Der Verkäufer habe ihm versichert, ja garantiert, dass er im Rom der Nachkriegszeit alle Uhren mit beträchtlichem Gewinn verkaufen könne. Der Haken an der Sache sei jedoch, dass ihm nur noch
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