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Der Fälscher aus dem Jenseits

Der Fälscher aus dem Jenseits

Titel: Der Fälscher aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Keller hinunter zu steigen.
    »Und frag nicht wie! Jetzt wird gefeiert! Ich hole meine beste Flasche.«
    Er verschwand, während Céleste in die Küche ging, die gleich neben dem Laden lag. Armand gesellte sich kurz darauf zu ihr. Sie war bereits dabei, den Truthahn vorzubereiten. Er lachte: »Diese dämlichen Ärzte! Ein Nervenschock...«
    Tatsächlich hatten die Ärzte im Krankenhaus einen Nervenschock diagnostiziert, um das völlige Fehlen jeder Muskelreaktion in den unteren Gliedmaßen zu erklären. Bei seinem Sturz hatte sich Armand Lambert nur leichte Prellungen zugezogen, nicht einmal eine Verstauchung. Doch die Beine blieben leblos, und dieses Phänomen musste man schließlich irgendwie erklären.
    Als Armand Lambert das ärztliche Gutachten in der Tasche hatte, ging er zu seiner Versicherung, bei der er eine große Police abgeschlossen hatte. Man kann nicht gerade behaupten, dass die Leute von der Unfallversicherung glücklich aussahen, aber was konnten sie gegen ein ärztliches Gutachten ausrichten? Sie mussten die Summe herausrücken, die für die völlige Lähmung beider Beine vorgesehen war: 100 000 Franc! Genug, um den Laden des Milchhändlers, der nebenan Pleite gemacht hatte, zu kaufen. Und das war noch nicht alles. Armand Lambert konnte kaum zu seiner Frau sprechen, so sehr musste er lachen.
    »Hinter der Kasse hab ich schon die Abrechnung gemacht. Heute haben wir einen neuen Rekord aufgestellt.«
    Céleste bestätigte das mit einem Nicken.
    »Ein Drittel der Leute war zum ersten Mal hier.«
    Das war nämlich das Fantastischste an Armand Lamberts falscher Behinderung. Dank ihr hatte er nicht nur das Geld von der Versicherung kassiert, auch sein Umsatz war sprunghaft in die Höhe geschnellt. Im ganzen Viertel hatten die Leute Mitleid mit ihm. Viele von denen, die sonst zur Konkurrenz gingen, hatten ihre Gewohnheit geändert, weil man ja etwas »für den armen Monsieur Lambert, der so großes Unglück gehabt hat, und seine arme Frau, die ja so tapfer ist«, tun musste. Céleste blickte ihren Mann an.
    »Ist es nicht zu schlimm für dich?«
    Der Kaufmann lächelte.
    »Doch, aber mit der Zeit gewöhne ich mich schon daran. Und sobald wir genug verdient haben, ziehen wir in den Süden, in die Sonne, wo uns niemand kennt.«
     
    März 1913. Der Lebensmittelladen des Ehepaars Lambert war jetzt zwar doppelt so groß, seit sie den Laden des Milchwarenhändlers nebenan gekauft hatten, dennoch war er immer gerammelt voll. Noch nie war das Geschäft so gut gelaufen. Nachdem sie an jenem Tag den eisernen Rollladen heruntergelassen hatten, hörte sich das, was der Kaufmann zu seiner Frau sagte, jedoch nicht gerade zuversichtlich an. Armand Lambert sprang aus seinem Rollstuhl.
    »Ich halt's nicht mehr aus, Céleste!«
    Unbeholfen versuchte Céleste Lambert, ihren Mann zu beruhigen: »Hab ein bisschen Geduld.«
    Da explodierte Armand Lambert förmlich: »Etwas Geduld? Du hast gut reden! Schließlich musst du nicht täglich diese Folter aushalten. Weißt du, wie lange es dauert, bis wir genug Geld verdient haben, um in den Süden ziehen zu können? Ich hab’s ausgerechnet: mindestens drei Jahre.«
    »Anfangs hast du gesagt, dass man sich daran gewöhnen kann.«
    »Da hab ich mich eben geirrt! Wenn man wirklich gelähmt ist, hat man keine andere Wahl. Bloß wenn man’s nicht ist, wenn man spürt, dass die Beine lebendig sind, man sie aber trotzdem nicht rühren darf, ist es hart. Ich halt's nicht aus, Céleste!«
    Die Ladenbesitzerin blickte ihren Mann entsetzt an. »Aber du musst es, Armand!«
    »Ich kann nicht, sag ich! Es ist gut möglich, dass ich irgendwann aufstehe, einfach so, mitten im Laden, vor allen Kunden, damit endlich Schluss ist.«
    »Das darfst du nicht! Dann landest du im Gefängnis und wir müssen den Laden schließen, ruiniert und entehrt.«
    Armand Lambert senkte den Kopf. Gegenüber seiner Frau hatte er immer das Sagen gehabt. Doch diesmal war er niedergeschlagen.
    »Céleste, ich hab einen Fehler begangen und die Schwierigkeiten unterschätzt. Ich bitte dich um Verzeihung. Wir sind verloren.«
    Der Ladenbesitzer und seine Frau schwiegen eine Weile. Plötzlich begann Céleste Lambert etwas unzusammenhängend zu sprechen: »Nein! Nur das nicht. Das muss nicht sein!«
    »Hast du eine Idee?«
    »Ich schäme mich, so etwas auch nur zu denken.«
    »Sag’s mir.«
    »Nein.«
    »Rede, Céleste! Das ist ein Befehl.«
    Also begann Céleste Lambert zu reden. Was ihr da eingefallen war, notgedrungen durch

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