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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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Oberinspektor ihn auf Ende vierzig. Er blickt rasch nach unten: Der rechte Fuß seines Gegenübers steckt in einem alten Filzhausschuh, unter dem linken Hosenbein ragt ein Lederschuh an einem Metallgestänge heraus.
    »Herr Michel, ich muss mit Ihnen reden«, sagt er und zeigt seinen Polizeiausweis.
    Der Mann wird fahl. »Die alte Geschichte?«
    »In gewisser Weise. Aber es geht nicht um Sie«, setzt der Kripo-Beamte beruhigend hinzu. »Darf ich eintreten?«
    »Auf Ihr eigenes Risiko«, murmelt Michel, »atmen sie flach, bis Sie sich an den Geruch gewöhnt haben.« Der Gestank nach Fäulnis und Fäkalien umhüllt sie wie ein Gift.
    »Das dringt manchmal aus dem Ausguss«, sagt der Einbeinige. »Da kann man nichts machen.«
    Zwei kahle Räume, ein Emailleschild mit der Aufschrift »Eigener Herd ist Goldes wert« an der Wand. In den Mauern klaffen Risse, die mit braunem Lehm und alten Zeitungen gefüllt sind. Michel bemerkt Staves Blick und hebt entschuldigend die Hände. »Die Risse werden dauernd größer. Wir schmieren sie immer wieder mit dem zu, was wir haben, damit es nicht zieht.«
    »Das macht die Wände nicht stabiler.«
    »Ich weiß. Bei jedem Sturm wackelt diese Bruchbude, dass man denkt, man sei auf einem Schiff. Manchmal knallt irgendwo eine Tür so laut wie eine Explosion. Dann rennen wir raus, wie 43, weil wir fürchten, dass nun aber wirklich das Haus kollabiert. Nur nicht mehr in den Keller, sondern ins Freie. Der Keller gehört heute den Ratten. Und manchmal weht hier Steinstaub herein, so dass wir uns feuchte Tücher vor das Gesicht binden müssen, um nicht zu ersticken. Irgendwann wird uns die Ruine über dem Kopf zusammenbrechen.«
    »Sie wohnen nicht alleine hier?«
    »Mit Frau und fünf Kindern. Sie lösen gerade Marken ein.«
    Michel führt ihn zu zwei Stühlen an einem mit Ölfarbe bekleckerten Holztisch, auf dem ein geöffnetes Paket steht. Stave starrt auf den gelben Pappkarton mit der schwarzen Aufschrift »CARE, U.S.A.«. Ein sehnsüchtiger Blick auf die Blechbüchsen darin, auf Fleisch und Margarine in Dosen, auf Zucker, Honig, Speck, Rosinen, Schokolade und, vor allem, zwei Pfund echten Kaffee. Der Oberinspektor weiß nicht, was er von den Hilfspaketen aus Übersee halten soll, die in immer größerer Zahl von mildtätigen Organisationen nach Deutschland geschickt werden. Er hungert nach den so lange entbehrten Köstlichkeiten, andererseits beschleicht ihn ein unbestimmtes Gefühl der Erniedrigung, derartige Spenden zu sehen. Nicht, dass er selbst bislang je in die Versuchung geführt worden wäre, eine Mitleidsgabe anzunehmen, denn er kennt niemanden in Amerika und steht auch auf keiner Verteilerliste von Caritas oder Rotem Kreuz.
    »Das habe ich gerade bei der Post abgeholt«, erklärt Michel, der dem Blick seines Gastes gefolgt ist. »Das hat mich mehr als 44   Reichsmark Zoll- und Frachtgebühren gekostet.«
    »Ein geringer Preis für ein Konservenvermögen.«
    »Ich habe Freunde drüben, die an mich denken. In Hollywood.«
    »Mein Freund Charlie Chaplin schickt mir auch hin und wieder Karten.«
    »Das ist kein Scherz. Ich war Requisiteur bei der Ufa. Viele Filmkollegen haben 1933 Fernweh bekommen und sind nach Kalifornien gegangen. Ich habe den Kontakt zu ihnen nie abreißen lassen, zumindest so lange nicht, wie das noch erlaubt war. Sie haben mich dort drüben nicht vergessen.« Er klopft auf den Karton. »Ich würde sofort meine Sachen packen und aus diesem Loch ins sonnige Hollywood ziehen, wenn mich die Amis hineinließen. Aber im Moment nehmen sie keine deutschen Auswanderer, und Krüppel wie mich schon gar nicht.«
    »Immerhin sind Sie nicht vorbestraft«, brummt Stave und sieht, wie Michels Gesichtsmuskeln zucken. »Und wenn Sie mir ein paar Fragen beantworten, dann sehen Sie mich nie wieder.«
    Der Einbeinige lässt sich auf einen Stuhl fallen und bietet seinem Gast den anderen an. »Seien Sie mir nicht böse, Herr Oberinspektor. Aber die Versicherung, dass ich von der Polente in Ruhe gelassen werde, die habe ich schon mal gehört. Und nun stehen Sie hier. Beim nächsten Mal wird es einer Ihrer Kollegen sein. Sie können dann sagen, dass Sie Ihr Wort gehalten haben, denn Sie persönlich kreuzen ja nicht hier auf. Aber was nützt mir das?«
    Stave ignoriert den Einwurf und zieht seinen zerfledderten Notizblock hervor. »Was wissen Sie über Toni Weber?«
    Michel schließt kurz die Augen und seufzt – etwas zu theatralisch, findet der Kripo-Beamte. »Der Toni hat ein Talent,

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