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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cay Rademacher
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den falschen Leuten Gefallen zu tun. Das ist sein einziges Verbrechen. Er ist ein guter Mann. Und ein sehr guter Künstler. Wenn die Zeiten nicht so barbarisch wären, müssten Sie nicht in meiner Bruchbude aufkreuzen, um etwas über ihn zu erfahren. Dann würden Sie seinen Namen in der Zeitung lesen.«
    »Die Zeiten sind aber barbarisch.«
    »Und deshalb sind Sie hier. Toni Weber ist kein Freund von mir, aber ein Berufskollege. Freier Künstler in der Weimarer Republik, Bildhauer, Grafiker, ein wenig Ölmalerei. Solide, soweit ich weiß, aber nicht berühmt. Als es Ende 1929 mit der Wirtschaft bergab ging, hat er gerade noch die Kurve gekriegt: Er ist Requisiteur bei der Ufa geworden.«
    »Er wechselte zum Film?«
    »Ein glücklicher Schritt. Je schlechter es den Leuten geht, desto häufiger gehen sie ins Kino. Außerdem fing damals gerade die Sache mit dem Tonfilm an. Das waren Goldgräberzeiten. In den Berliner Studios brauchten sie Leute mit Händchen, die Kulissen bauen: Burgen, herrschaftliche Innenräume, Fabriken. Dazu Kostüme aus allen Epochen, Kopien von Kunstwerken, die man irgendwo in die Kulissen stellte, Waffen aller Art, Kristalllüster, Schiffe, sonderbare Autos. Sie können sich nicht vorstellen, was wir damals aus Gips und Sperrholz gebaut haben.«
    »Sie haben sich bei der Ufa kennengelernt?«
    »Zwei gescheiterte Künstler auf einem Vergnügungsdampfer, ja. Mit unseren Werken kamen wir selbstverständlich nicht mehr in die Galerien, dafür brachte man jede Woche eine Lohntüte nach Hause. Ich habe eine Familie gegründet. Der Weber war ein feiner Kollege. Ein wenig still.«
    »Still?«
    »Vor allem ab 33. Sein privates Leben war ja«, Michel zögert, »etwas außergewöhnlich. Und seine Kunstwerke aus der Weimarer Zeit waren nicht gerade so, dass sich der Adolf die in sein geplantes Museum in Linz gestellt hätte.«
    »Entartete Kunst?«
    »Es hätte böse mit ihm enden können, wenn er 33 nicht schon beim Film gewesen wäre. Der Film, das war die große Leidenschaft vom Hinkefuß. Goebbels war vernarrt in die Studios – sofern man dort das produzierte, was die Herren im Propagandaministerium zu sehen wünschten. Wir machten Filme, der Goebbels war zufrieden, niemand hat uns je gefragt, was wir vor 1933 getan hatten. Kein Besuch von der Gestapo, keine Einberufung zur Front.«
    Stave deutet auf Michels Prothese. »Es hat Sie trotzdem erwischt.«
    Er verzieht das Gesicht. »Irgendwann kam die Front dann ja leider zu uns. Wir haben noch gedreht, als der Iwan schon in den Vororten von Berlin stand. Auf dem Rückweg von einem Außendreh sind wir unter Feuer geraten. Einige von denen, die das überlebt haben, behaupten, das war ein sowjetischer Tiefflieger. Andere sagen, ein T-34. Ziemlich hitzige Diskussion und ziemlich überflüssig.« Er klopft auf seine Prothese. Das Eisengestänge klingt hohl.
    »Sind Sie mit Weber von Berlin nach Hamburg gegangen?«
    »Nein, ich lag lange im Lazarett. Meine Frau war mit den Kindern irgendwo in Berlin, als die Russen einmarschierten.« Er schweigt und starrt zur Decke. »Na, jedenfalls fanden wir uns wieder und schlugen uns Ende 45 bis hierher durch. Da, wo der Russe herrscht, da möchten Sie nicht leben. Den Weber habe ich erst hier wiedergesehen. Ich habe damals gedacht, es hätte ihn bei jenem Angriff erwischt. Aber er war davongekommen. Wir haben uns bei einer Versammlung des Wirtschaftlichen Verbandes bildender Künstler zufällig getroffen.«
    »Klingt wie eine Behörde.«
    »Ist aber eher eine Art Hilfsverein. Mitglieder erhalten zehn Bögen Aquarellpapier pro Monat zum Festpreis. Wenig, aber besser als nichts. Einen simplen Borstenhaarpinsel, den ich früher für 80   Pfennige bekommen habe, muss ich mir nun für zwölf Reichsmark auf dem Schwarzmarkt besorgen. Leinwände stelle ich selbst her: Jutesäcke, fünfzig Reichsmark die Ladung, bearbeitet mit Kreide und Leim. Das fertige Bild wird dann wohl kaum so lange halten, dass es noch in fünfhundert Jahren in irgendeinem Museum hängt, aber das ist nicht meine größte Sorge.«
    »Kann man denn heute überhaupt wieder Bilder verkaufen?«
    Michel lacht bitter auf und deutet auf die rissigen Wände des Zimmers. »Ich nicht. Sieht so aus, als hätte ich irgendwo unterwegs bei der Ufa mein Talent verloren. Ich war in meiner Jugend mal ein ganz passabler Bildhauer. Und Holzschnitzer.«
    »Und Toni Weber?«
    »Der hat sein Talent behalten, und wie, in beiden Metiers. Der ist wieder beim Film untergeschlüpft.

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