Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
mehr. Und nicht einmal Briefmarken.«
Stave will schon erwidern, das sie den Rest gerne als Trinkgeld behalten dürfe, doch fällt ihm gerade noch rechtzeitig ein, wie absurd das nun ist: Soll sich die Kellnerin ein Stück vom Geldschein abschneiden? Keine Münzen, kein Trinkgeld. Also legt er ihr noch eine Reichsmarknote in die Hand. »Für Sie.«
Das Café ist ruhig um diese Zeit, der Kripo-Mann setzt sich an einen wackeligen Resopaltisch am Fenster, mit Blick zur Tür. Er fragt sich flüchtig, woher Anna dieses Haus kennt, sie sind hier nie zusammen eingekehrt. Dann erinnert er sich an das »G« in den Initialen auf ihrer Handtasche. An den ausgelösten Ehering beim Juwelier. Man muss nicht jahrelang bei der Kriminalpolizei gewesen sein, um daraus gewisse Rückschlüsse ziehen zu können. Eifersucht zerfrisst sein Herz, und Sehnsucht auch. Und die Neugier des Polizisten: Wer ist dieser G? Ist er in Hamburg? Ist er der Grund, warum sich Anna zurückgezogen hat? Ein Gatte, der wieder aufgetaucht ist, eine Affäre, die seine Ehefrau diskret beendet hat? Soll Stave seine Verbindungen in der Zentrale nutzen und ein wenig in Annas Vergangenheit wühlen? Und wenn er schon dabei ist, ebenfalls in ihrer Gegenwart? Eine unauffällige Observation, bloß wenige Tage, um zu sehen, mit wem sie sich trifft? Tu ihr das nicht an, sagt er sich, tu dir das auch selbst nicht an.
Zehn Minuten später tritt Anna ein, ein wenig außer Atem, das Gesicht gerötet. Sein Herz setzt einen Moment aus, als er sie erblickt. Er hätte sie jetzt gerne geküsst, doch reicht er ihr in einer linkischen Bewegung bloß die Hand.
»Ich habe etwas für dich!«, ruft sie, noch bevor sie ihren Regenmantel abgeworfen und sich zu ihm gesetzt hat. »Deshalb habe ich mich auch verspätet: festgegraben in der Kunsthalle.«
»Wo sonst?«, erwidert er. Tatsächlich ist er erleichtert, dass sie nicht anderswo gewesen ist. Bei einem anderen Mann.
Sie zieht das Foto des bronzenen Frauenkopfes aus ihrer Handtasche. »Das ist ein Porträt der Schauspielerin Anni Mewes«, erklärt sie triumphierend.
»Woher weißt du das?«, fragt Stave voller Bewunderung.
»Eine Kuratorin im Museum hat Anni Mewes wiedererkannt.«
»Nie von ihr gehört.«
»Ein mittelprächtiger Stummfilmstar der zwanziger Jahre. Sie hat als junge Frau in Hamburg neben Gründgens gespielt, 1920 ging sie nach Berlin und stand mit Marlene Dietrich auf der Bühne. Danach einige Rollen in Ufa-Filmen, weiter Theater. Seit Jahren hat niemand mehr etwas von ihr gesehen. Ich weiß nicht, wo sie lebt, ja, ob sie überhaupt noch lebt. Aber ich weiß, wer diese Bronzeplastik von ihr geschaffen hat.« Anna macht eine Kunstpause und lächelt ihn an. Glücklich wie ein junges Mädchen, wie eine Sportlerin nach einem gewonnenen Lauf. Hinreißend, denkt Stave. »Ein Expressionist aus Berlin: Toni Weber.«
Der Kripo-Beamte verschluckt sich an seinem Ersatzkaffee.
»Ein Freund von dir?«, fragt sie erstaunt.
»Ein Mann mit vielen Freunden, ich habe allerdings bloß von ihm gehört«, keucht Stave. »Und das ist noch nicht sehr lange her.« Er hustet noch einige Male und erzählt ihr dann, ohne in jene Einzelheiten zu gehen, die MacDonald lieber vertraulich halten möchte, dass auf dem Goldbekplatz gefälschte Geldscheine aufgetaucht sind und er deshalb den Künstler befragen will. Zugleich rasen seine Gedanken: expressionistische Kunst. »Entartete Kunst«. Porträts von Stummfilmstars. Das würde erklären, warum einer wie Weber in der Krise beim Film gelandet ist – alte Kontakte. Und auch, warum er nach dem Krieg wieder ins Geschäft gekommen ist – er hat sich eine gewisse Reputation als Porträtist der Reichen und Berühmten erhalten über all die Jahre.
»Sind die anderen Skulpturen aus dem Reimershof auch von Weber?«
»Die Kunsthistorikerin, die ich im Museum gesprochen habe, glaubt das nicht. Sie kennt Weber, schon seit der Weimarer Zeit. Wusstest du, dass er den Krieg überlebt hat und jetzt in Hamburg wohnt?«
»In einer Ley-Hütte an der Fuhlsbütteler Straße. Aber er ist selten zu Hause. Weilt lieber an der Ostsee.«
Sie lacht überrascht auf. »Wir ergänzen uns prächtig!«, ruft sie.
»Ja«, sagt Stave versonnen und dann, bevor seine Reaktion einem von ihnen peinlich werden könnte, wechselt er rasch das Thema. »Hat der Bankier Schramm diesen Toni Weber gefördert? Kennen die beiden sich?«
»Möglich. Aber meine Freundin im Museum konnte mir darüber nichts sagen.«
Der
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