Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
reicher Schnösel. Vielleicht nicht nur ein Filmliebhaber, sondern auch ein Liebhaber der Anni. Aber was geht mich das an? Ich weiß nicht, ob er das Werk behalten oder irgendwann verkauft hat. Ich hatte es schon mehr oder weniger vergessen – bis zum Sommer 37. Da wurde mein Bronzekopf plötzlich in der Ausstellung ›Entartete Kunst‹ präsentiert.«
»Da waren Sie in der Gesellschaft vieler berühmter Kollegen.«
»Für den Goebbels waren wir alle Volksfeinde. Das konnten Sie damals jeden Tag in der Zeitung lesen. Und in der Wochenschau gab es Filme darüber. In einer Einstellung, als Hitler und sein Propagandaminister durch die Ausstellung wandern und spotten, konnte man im Hintergrund die Anni Mewes auf einem Podest erkennen. Als ich das im Kino gesehen habe, da bin ich noch im Dunkeln während der Vorführung hinausgeschlichen. Ich dachte jeden Tag, jetzt klopft die Gestapo bei mir an.«
»Klopfte sie an?«
»Nie. In der ›Entarteten Kunst‹ wurden ja noch Hunderte weitere Werke präsentiert. Da habe ich mich nach und nach wieder beruhigt. Die berühmtesten Werke haben die Nazis schließlich zerstört oder ins Ausland verramscht. Die anderen kamen irgendwo ins Depot und wurden vergessen. Meine Anni Mewes gehörte zur zweiten Kategorie. Ich habe sie später noch einmal bei meiner Arbeit gesehen: Die trat in einem Propagandafilmchen auf.« Er lacht. »Der Bronzekopf der Anni ist beinahe in mehr Filmen zu sehen gewesen als die Gute selbst.«
»Wann war das?«
»Im Frühjahr 38. An den genauen Tag erinnere ich mich nicht mehr.«
Stave rechnet nach: Im Herbst 1937 wird der Bronzekopf in der Ausstellung »Entartete Kunst« präsentiert. Die meisten Werke wurden extra dafür requiriert. Er erinnert sich daran, wie die Polizei mithalf, in der Hamburger Kunsthalle missliebige Werke von den Wänden zu nehmen und abzutransportieren. Ganze Säle leerten sich so. Spätestens dann also muss das Bildnis der Anni Mewes dem ursprünglichen Auftraggeber abgenommen worden sein. Im Frühjahr 1938 taucht es bei einem Filmchen auf – wieder, wenn auch nur als belanglose Requisite, als Inszenierung unter Aufsicht des Propagandaministeriums. Im Winter 1938 steht die Büste jedoch plötzlich in den Privaträumen des Hamburger Bankiers Doktor Alfred Schramm. Hat er sie vom Propagandaministerium gekauft? Ein Bankier, der nicht gerade ein Freund der Nazis war? Ziemlich unwahrscheinlich. Und im Sommer 1943 wird die Bronze in den Trümmern eines Hauses verschüttet, in dem Schramm Räume angemietet hatte. Seltsame Odyssee.
»Kennen Sie einen Doktor Alfred Schramm?«
Webers Gesichtszüge werden wehmütig. »Der Bankier? Ein großer Förderer der Kunst und der Künstler. Und: Im Gegensatz zu vielen Männern seines Standes schätzt er nicht nur die Werke toter Künstler, sondern hält auch zeitgenössische Meister am Leben. Zumindest manche. Wenn der einen Maler entdeckt, dann ist das wie ein Lotteriegewinn. Dieses Glück hatte ich in den zwanziger Jahren leider nicht. Und ab 1933 habe ich ja nichts mehr geschaffen, das irgendwer hätte sammeln können.«
»Und seit 1945?«
Weber lacht. »Wenn Schramm mein Mäzen wäre – glauben Sie, ich würde dann das hier pinseln?« Er deutet auf die Ostseeidylle an der Wand.
»Sind Sie Schramm einmal persönlich begegnet?«
»Nie.«
»Wissen Sie, ob Schramm – und sei es über einen Mittelsmann oder eine Galerie – schon einmal ein Werk von Ihnen erworben hat?«
»Ich habe von ihm noch nie Geld erhalten. Da wird er wohl auch noch nie eine Arbeit von mir gekauft haben.«
»Kein Geld von Schramm? Auch nicht vor dem Krieg? 1938 etwa?«
»Keinen Pfennig. Nie.«
Da haben wir doch schon mal ein Motiv, warum Schramm leugnet, den Bronzekopf zu kennen, denkt Stave und atmet tief durch. Die ermüdende Fahrt nach Travemünde war nicht umsonst. Flüchtig fragt er sich, ob er Weber von dem Foto in Schramms Villa erzählen soll, entscheidet sich jedoch dagegen. Über den namenlosen Toten im Reimershof wird ihm Weber wohl auch nichts erzählen können. Ein Blick zu MacDonald. Der Brite sieht unglücklich aus. Der Oberinspektor unterdrückt ein Lächeln. Den Lieutenant interessiert die Irrfahrt eines Bronzekopfes herzlich wenig. Der will etwas über die rätselhaften Geldscheine erfahren.
»Ich habe da noch etwas«, sagt der Oberinspektor im Plauderton und zieht die Pfennigscheine vom Goldbekplatz aus einer Mappe.
Weber starrt darauf, als wären es scharfe Handgranaten. »O nein«, keucht er,
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