Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Ermittlungen zu informieren – vorausgesetzt, er wird etwas vorzuweisen haben. Er springt erleichtert aus dem Wagen, der mit hustenden Geräuschen davonrumpelt.
Die Tauschzentrale ist eine lange Wand aus zusammengenagelten Kistenbrettern am Straßenrand, die irgendwann von irgendwem dort aufgestellt worden ist, toleriert von den britischen Besatzern und der deutschen Verwaltung. An das Holz sind Hunderte Zettel gepinnt, vergilbt und aufgeweicht vom Regen, die ausgewaschene Tintenschrift auf vielen Mitteilungen fast unleserlich. Hier werden Sachen angeboten von denen, die sie nicht auf dem Schwarzmarkt verschanzen wollen. Die Polizei schickt ab und zu eine Streife vorbei, denn es ist verboten, Waren anzubieten, die der Rationierung unterliegen – Zucker etwa oder Butter. Ansonsten werden diese »Kompensationsgeschäfte«, wie es in den Polizeiberichten heißt, wohlwollend geduldet, denn sie lindern die materielle Not.
Ein Trödelmarkt auf Zetteln, vor dem selbst bei diesem Wetter Dutzende Frauen und Männer vorbeidefilieren, die Blicke konzentriert auf die Papiere gerichtet, bei besonders verwaschenen Botschaften die Nase so dicht darüber, als seien sie Insektenkundler, die eine rare Spezies erforschen.
Stave reiht sich ein, liest: »Kartoffeln gegen Fahrradbeleuchtung«, »Habe Mantel, suche Schuhe«, »Biete Bettwäsche, suche Kaninchen (lebend)«.
Er selbst sucht ein Fahrrad, denn drei Jahre nach dem Krieg sind die wichtigsten Straßen wieder von Trümmern freigeräumt worden. Und er ist es müde, stundenlang zu Fuß durch die Stadt zu wandern. Sei altes Rad stand im Keller des Mietshauses, in dem er bis 1943 gewohnt hat – es wird dort noch immer sein, begraben unter Tonnen von Ziegeln und Balken, die darauf gestürzt sind, als in jener Nacht die Bombe traf.
Stave findet einen Zettel, dem Zustand nach ein Angebot, das noch nicht allzu lange am Brett hängt – vielleicht kommt er nicht zu spät: »Biete Herrenrad, suche Schreibmaschine«.
Er hat eine schwarze, schwere Olympia zu Hause. Die Schreibmaschine stand auf dem Tisch der Wohnung, die er nach dem Bombenangriff zugeteilt bekam. Er weiß bis heute nicht, wer zuvor dort gelebt hat und was aus den Mietern geworden ist. Die Schreibmaschine hat er nie benutzt, sich aber jahrelang eingeredet, dass er sie behalten müsse, um sie den früheren Eigentümern zurückzugeben, falls die je bei ihm anklopfen sollten. Doch nun, in diesem Augenblick vor dem Brett, da er das Angebot sieht, wird ihm klar, dass niemals jemand bei ihm anklopfen und die Olympia zurückfordern wird. Er notiert sich den Namen und die Adresse des Anbieters. Ein Telefon hat er selbstverständlich nicht.
Stave will sich schon abwenden, als ihm noch ein Zettel auffällt. Es ist die Schrift: blaue Tinte, ausladend, ein wenig ungelenk, eine Erwachsenenschrift, durch die noch die bemühten Schwünge des Schülers hindurchschimmern. Eine Schrift, die er kennt – Karls Schrift.
Plötzlich ist er ganz aufgeregt und liest, was sein Sohn anbietet: »Tausche Persilkarton voll getrocknetem Tabak gegen Mommsens ›Römische Geschichte‹«.
Der Oberinspektor steht so lange vor dieser Anzeige, dass ihn andere Interessenten anrempeln. In seinem Kleingarten zieht Karl Tabak. Getrocknete, kleingehackte Blätter werden in Zeitungspapier zu »Besen« gerollt, wie diese selbst fabrizierten Zigaretten genannt werden. Ein attraktives Angebot in Zeiten wie diesen. Aber warum will sein Sohn dafür ein Buch haben? Er versucht sich zu erinnern, weil ihm der Name Mommsen vage bekannt vorkommt. Ein Roman? Ein Fachbuch?
So sieht sich der Oberinspektor um, bis er einen älteren, bebrillten Herrn einige Meter weiter erblickt, Typ pensionierter Lehrer.
»Entschuldigen Sie«, spricht er ihn an, »was ist mit ›Mommsen, Römische Geschichte‹ gemeint?« Er deutet dabei auf Karls Anzeige.
Der Mann blickt ihn an, als hätte er ihn nach Kaiser Wilhelm gefragt, grinst schließlich herablassend. »Theodor Mommsen war ein großer Gelehrter am Ende des letzten Jahrhunderts. Althistoriker. Seine ›Römische Geschichte‹ ist noch immer ein Standardwerk. Ich persönlich würde mein Exemplar nicht für einen Karton Tabak hergeben. Aber der Bieter wird sicher jemanden finden. Von Mommsens Werk existieren Dutzende Auflagen. Das stand mal im Bücherschrank jedes besseren Haushalts, bevor die Zeiten barbarisch wurden.« Der Mann schnaubt und blickt ihn abfällig an.
Stave dankt, blickt verwirrt auf den Zettel und fragt sich,
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