Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Oberinspektor lehnt sich zurück. Webers Kunstwerk in Schramms ausgebombtem Kontorhaus. Früher in seiner Villa. Schramms Leugnen, die Bronzearbeit zu kennen. Ein toter Jude. Weber als Verdächtiger, als Zeuge, als vielleicht ganz Unbeteiligter im Geldfälscherfall vom Goldbekplatz. Kein Muster, sagt er sich, da gibt es überhaupt kein Muster. Und doch kommt er sich wie ein Jagdhund vor, der die erste Witterung aufgenommen hat. Und zugleich fühlt er sich, als hätte er endlich wieder einmal Glück: Ich werde Weber zum Mysterium des Bronzekopfes befragen, denkt er. So komme ich unauffällig an ihn heran. Und dann erst konfrontiere ich ihn mit dem anderen Fall. Normalerweise ahnt ein Verdächtiger, warum ihn ein Polizist befragt. Blitzschnell legt er sich eine Verteidigungsstrategie zurecht. Hier nicht: Weber muss denken, dass es allein um sein altes Kunstwerk geht. Er wird nicht auf der Hut sein, hofft der Kripo-Mann, und so kann er ihn vielleicht überrumpeln und entscheidende Hinweise zum Goldbekplatzfall herauskitzeln. Falls er überhaupt darin verwickelt ist.
Stave gelingt es, Anna zu einem frühen Abendessen zu überreden. So stillt er seinen Hunger – und hat eine Stunde mehr, die er mit ihr verbringen kann. Das schäbige Café mit den wackeligen Tischen und dem Regen, der an den schmutzigen Scheiben herunterläuft, ist ihm der schönste Ort der Welt. Irgendwann steht sie doch auf. »Ich muss gehen«, sagt Anna.
»Sehen wir uns wieder?«
»Gerne.«
Und Stave weiß in diesem Augenblick, dass er doch keine Sackgasse hinuntergeht.
Travemünde
Mittwoch, 16. Juni 1948
Stave und MacDonald fahren in einem dunkelgrünen britischen Jeep über die alte Reichsstraße 75 Richtung Nordost. Hamburg haben sie schon vor einer halben Stunde verlassen. Felder zu beiden Seiten des Kopfsteinpflasters, niedergedrückte blassgelbe Ähren, Kartoffeläcker wie Sümpfe. Ein gebeugter Bauer, der einen massigen dunklen Kaltblüter über eine Wiese führt. Der Sturm peitscht Regen aus Nordwest heran. So ist es schon im Mittelalter gewesen, denkt Stave. Durch einen Riss im Stoffverdeck des Autos dringt Nässe ins Segeltuchgewebe. Inzwischen ist das ganze Dach so feucht, dass jedes Mal ein feiner Schauer auf die beiden Insassen niedergeht, wenn der Geländewagen mit harter Federung über eine Bodenwelle springt. Die kleinen Scheibenwischer zucken über die Windschutzscheibe, doch der Oberinspektor kann trotzdem keine hundert Meter weit sehen. Er ist froh, dass er nicht fahren muss.
In aller Frühe hat er dem Lieutenant vorgeschlagen, mit ihm nach Travemünde zu reisen. Der Brite hat angenommen und, was Stave heimlich gehofft hatte, auch ein Militärfahrzeug angeboten, sodass er sich keinen der wenigen Peterwagen ausleihen und sich mit Fahrtenbüchern und rationiertem Benzin herumärgern muss.
Eine Zeitlang folgen sie einem zerbeulten braunen Opel Olympia aus Vorkriegsbeständen. Am Steuer muss ein Deutscher sitzen: Das Auto trägt ein Nummernschild mit den Buchstaben »BH« und vier Ziffern. Bis vor ein paar Wochen teilten die Besatzungsbehörden noch Nummernschilder mit »HG« zu, für »Hamburg Government«. Nun also »Britische Zone Hamburg« – eine winzige Formalie in zwei Buchstaben, trotzdem ein Zeichen der Entspannung und der Normalität, eine Abkürzung wieder in der eigenen Sprache entziffern zu können und nicht in der der fremden Soldaten. Als die Landstraße freier wird, gibt der Vordermann Gas und entschwindet dem Jeep.
»Der wird vor uns an der Ostsee sein«, murmelt MacDonald gleichmütig, täuscht den Oberinspektor jedoch damit nicht: In seiner Stimme schwingt die Enttäuschung des ehrgeizigen, doch abgehängten Autofahrers mit.
»Ich hoffe, wir unternehmen diese Reise nicht auch noch umsonst«, erwidert er. »Wir sind nicht angemeldet.« Ferngespräche sind, um den Zusammenbruch des maroden Telefonnetzes zu vermeiden, zwischen 19.30 Uhr und 7.30 Uhr verboten. An diesem Morgen hat es der Kripo-Mann einmal versucht, doch eine Telefonistin sagte ihm, dass er bis zu sechs Stunden auf eine freie Leitung hätte warten müssen. Auf ein Telegramm nach Lübeck hat er verzichtet: Oft werden die Depeschen von Boten auf dem Fahrrad oder zu Fuß weitergetragen – da ist er schneller, wenn er gleich mit dem Auto kommt.
»Unser Künstler wird schon nicht davonlaufen«, sagt der Lieutenant, nun wieder fröhlich. »Zumal ihm ein Geschäft winkt.«
»Ich will kein Bild bei ihm bestellen.«
»Aber ich.«
Stave
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