Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Und wieder ist Stave erschrocken. So bald schon werden sie abreisen, denkt er.
»Aber ich kenne die Dame nicht!«, protestiert der Künstler.
»Ich habe hier ein Foto. Aus einem Studio.« Der Lieutenant zieht ein in Pergamentpapier eingeschlagenes, sepiabraunes Foto aus einer Tasche seiner Uniform und reicht es Weber hinüber wie einen Schatz.
»Ein Ölbild nach einer Fotovorlage zu malen ist künstlerisch ungefähr so anspruchsvoll wie diese Ostseelandschaft an der Wand«, murmelt Weber enttäuscht.
»Ich zahle Ihnen zehn Pfund dafür«, verspricht MacDonald.
»Ich versuche gar nicht erst, diese Summe in Reichsmark umzurechnen«, ruft der Künstler verblüfft. »Ich bin Ihr Mann. Das Foto müsste ich mir eine Zeitlang ausborgen. Eine Woche?«
»Eine Woche«, sagt MacDonald und schlägt zur Bekräftigung in die Hand Webers ein.
Eine Woche, denkt Stave. So lange ist er also mindestens noch in Hamburg.
Als sie einige Augenblicke später an der Tür der Villa Abschied nehmen, wendet sich Stave, schon fast beim Jeep, noch einmal dem Künstler zu: »Wie viel Honorar bekommen Sie eigentlich für Ihr Ostseeidyll?«
»3000 Reichsmark in bar«, erwidert Weber und lächelt wieder nervös. »Ich habe gehört, dass das möglicherweise nicht ganz so viel Geld ist, wie ich noch dachte, als ich den Auftrag angenommen habe. Deshalb reise ich morgen nach Hamburg zurück. Ich will nichts verpassen. Kann sein, dass ich hier nicht nur schlechte Kunst mache, sondern auch noch ein schlechtes Geschäft.«
»Sie scheinen nicht der Einzige zu sein, der ein schlechtes Geschäft macht«, murmelt der Oberinspektor und tippt grüßend an seine regenschwere Hutkrempe.
Sie bleiben noch eine Stunde in Travemünde und fragen bei Nachbarn und Ladenbesitzern – Webers Geschichte stimmt, er ist seit Tagen an der Ostsee. Niemand hat in der Zeit je gesehen, dass er den Ort verlassen hätte, nicht einmal zu einem kurzen Spaziergang.
»Unser Künstler hat ein Alibi«, meint MacDonald.
»Und ich habe noch ein Problem mehr«, erwidert der Oberinspektor verdrossen. »Auch wenn es mich nicht mehr überrascht.«
Auf dem langen Rückweg starrt Stave schweigend aus dem Fenster auf die graue Landschaft. Er denkt über die Fälle nach, unzufrieden mit sich. Zwei Ermittlungen sind eine zu viel für mich, gesteht er sich ein. Und dann noch die heimliche Ermittlung, von der kein Krimsche etwas erfahren darf. Ich wechsle von der Mordkommission zum Chefamt S, was in den Augen der meisten Kollegen schon ein Abstieg ist. Und dann habe ich doch wieder eine Leiche an der Hacke. Und ich komme mit meinen ersten offiziellen Fällen dort nicht einmal voran. Cuddel Breuer wird glauben, dass ich mich von dem Pistolenschuss nie richtig erholt habe. Dass ich ausgebrannt bin. Möglicherweise hat er recht. Irgendetwas habe ich überhört bei der Befragung heute, sagt er sich, irgendein Detail, bei dem ich hätte nachfassen müssen.
Er schreckt erst aus seinen Gedanken auf, als sie schon Ahrensburg durchqueren und das Dröhnen des Zwölfzylinders auf einmal unrunder klingt, als habe sich der Motor verschluckt.
»Die Zündkerzen. Oder der Verteiler«, vermutet MacDonald heiter. »Hoffentlich verreckt uns die Karre nicht unter unseren Sitzen. Wer weiß, wann hier die nächste Streife vorbeikommt und uns aufpickt.«
Der Kripo-Beamte fürchtet einen Fußmarsch durch den Regen. »Wie stehen unsere Chancen?«
»Fifty-fifty. Sie wohnen ja in der Ahrensburger Straße, das ist doch die Verlängerung der Reichsstraße 75. Mit ein bisschen Glück schaffen wir es bis dorthin und ich setze Sie direkt vor Ihrer Haustür ab.«
»Sie fahren weiter?«
»Die Army hat eine Werkstatt am Holstenhofweg, nur ein paar hundert Yards von Ihrem Haus entfernt. Läge direkt am Weg – wäre aber auch gegen die Vorschriften. Ich werde diese alte Schüssel noch quer durch die Stadt bis zu unserem Fuhrpark quälen, ordnungsgemäß abgeben, eine Meldung erstatten – und dann, vorausgesetzt, der Motor ist bis dahin nicht endgültig hinüber, wird irgendein missgelaunter Sergeant den Jeep wieder bis zum Holstenhofweg kutschieren.«
»In dem Fall rauschen wir an meiner Wohnung vorbei: Ich möchte auch noch in die Stadt.«
»Wohin?«
»Grindelallee. Zur Tauschzentrale.«
»Aye, aye, Sir.«
Tatsächlich schleppt sich der Jeep eine halbe Stunde später ruckelnd und stotternd die Grindelallee hinunter. Stave verabredet sich für den nächsten Tag mit MacDonald, um ihn über die Fortschritte der
Weitere Kostenlose Bücher