Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Schieber. Für irgendjemanden müssen sie das Casino und die Hotels doch wieder geöffnet haben.«
»Für die Schieber aus allen Zonen. Sie haben recht, bis vor einigen Wochen vergnügten sich hier viele Tausend Jahre Gefängnis. Aber die Gerüchte vom Tag X haben der Klientel die Laune verdorben. Jeder will zu Hause sein, wenn die entscheidende Stunde schlägt. Mein Vorgesetzter vom Chefamt S bekommt Magengeschwüre, weil all die Schieber, die in normalen Sommern ausgeflogen sind, nun in Hamburg hocken und er viel zu wenige Männer hat, um gegen diese Invasion zu ermitteln.«
MacDonald stoppt neben einem Hotel. Stave fragt den gelangweilten Portier nach der Adresse, die ihm Michel gegeben hat. Fünf Minuten später parkt der Jeep vor dem Haus, das Toni Weber bemalen soll: eine Villa aus Holz mit viereckigem Aufbau, der an einen kleinen Leuchtturm erinnert. Ostseeblick, ein Vorgarten so groß wie ein Marktplatz, hinter dem Gebäude erkennt der Oberinspektor die rötliche Ecke eines Tennisplatzes.
»Netter Job«, kommentiert MacDonald anerkennend.
»Wäre wirklich schade, wenn wir ihn mitten während der Arbeit verhaften müssten«, brummt Stave und schwingt seinen durchgerüttelten Körper aus dem Wagen.
Ihnen öffnet ein hagerer Mann, gebeugte Haltung, durch die er noch kleiner wirkt, als er schon ist. Braune Haare, eine Spur zu lang, große Augen, die dunkle Haut eines Menschen, der oft im Freien arbeitet, ungewöhnlich kräftige Hände mit langen Fingern. Er trägt einen langen, mit Farbklecksen gesprenkelten Arbeitskittel. Der Oberinspektor erkennt ihn vom Foto aus der Polizeiakte wieder.
»Herr Weber«, begrüßt er ihn, »wir möchten mit Ihnen sprechen.«
Nackte Angst im Blick, als der Künstler den Polizeiausweis mustert, der ihm vor das Gesicht gehalten wird, die Uniform des Engländers, den Jeep vor der Tür.
»Das ist nicht mein Haus«, stammelt Weber.
»Wir wollen es auch nicht kaufen. Wir wollen von Ihnen nur ein paar Dinge erfahren.«
»Ein Verhör?«
»Es liegt nichts gegen Sie vor.«
Weber führt sie hinein. Hohe Sprossenfenster, die Zimmer sind hell, die Räume wirken noch größer, als sie sind, weil Möbel und Vorhänge fehlen. Weber geht voran bis zur Rückseite, wo sich ein Zimmer über eine Terrasse zu einem Garten hin öffnet. Rosen an bogenförmigen Ranken, die ersten Blüten sind offen: rote Punkte in einer regengrauen Welt. Stave erinnern sie an Blutstropfen.
»Ich muss nur schnell die Farbdosen schließen, damit nichts eintrocknet«, erklärt der Künstler. In dem Raum steht eine Leiter, der Parkettboden ist mit alten Zeitungen abgedeckt. An der Rückseite des Salons ist mit schwarzen Linien ein Bild auf den Putz gezeichnet, dessen Flächen Weber offenbar gerade mit einer scharf riechenden Farbe ausgemalt hat – eine Ostseelandschaft mit Wogen, Segelschiffen, Möwen, Wolken, einem Leuchtturm auf einer Steilküste und einem Dampfer am Horizont.
»Der Wunsch des Hausherrn«, erklärt Weber in einem Tonfall, der nicht verheimlicht, dass ihm sein eigenes Werk peinlich ist.
»Sieht nicht gerade expressionistisch aus.«
»Das ist noch freundlich formuliert. Aber man nimmt heutzutage, was man kriegen kann. Und es übt wieder Hand und Auge und das Gefühl für Farben und Proportionen. Aber Sie haben nicht den Weg von Hamburg bis hier hinaus gemacht, um moderne Wandbilder zu studieren.« Weber blickt sie nervös an.
Stave zieht das Polizeifoto des Bronzekopfes aus seiner Manteltasche. »Erkennen Sie das wieder?«
»Anni Mewes«, ruft er. Plötzlich ist seine abwartende Ängstlichkeit verflogen. »Die hat mir Modell gesessen, kurz nachdem ich in München meine Ausbildung beendet hatte. Muss mehr als zwanzig Jahre her sein, eher schon dreißig. Wo haben Sie die gefunden? Die Bronze sieht schrecklich aus, und die Trümmer daneben …«
Der Oberinspektor erzählt ihm von den Funden im Reimershof, zeigt ihm die Fotos der anderen Werke. »Die sind nicht von mir«, erwidert Weber, »auch wenn mir die Sachen irgendwie bekannt vorkommen. Damals wurden so viele expressionistische Arbeiten gezeigt. Vor 1933.«
»Wie könnte Ihre Bronze in den Reimershof gelangt sein?«
Ein Achselzucken. »Nach der Machtergreifung war es klüger, sich nicht mehr bei Künstlern und Galeristen sehen zu lassen. Ich bin bei der Ufa untergeschlüpft, was Sie sicherlich in Ihrer Polizeiakte gelesen haben. Den Kopf der Anni Mewes habe ich lange Zeit vorher für einen Filmliebhaber in Berlin geschaffen. Ein
Weitere Kostenlose Bücher