Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Stave«.
Der Kripo-Mann lehnt sich zurück, atmet tief durch. Plötzlich zittert seine Hand. Er erinnert sich an die Gerüchte, dass Dönnecke etwas mit der Gestapo zu tun gehabt haben soll. Deren Zentrale in Hamburg war zwar das Stadthaus, in dem der alte Oberinspektor nie Dienst getan hat. Doch wer weiß?
»St. ermittelt auch in dem Fall; Kunstwerke«, liest Stave. Der Kerl hat ein Dossier über mich angelegt, erkennt er fassungslos. »St. kein Kamerad, politisch und fachlich unzuverlässig. Kontakte zu Engländern. Labil seit Tod der Frau 1943, verschärft seit Schussverletzung in diesem Frühjahr. Entfernung aus Mordkommission, nur noch Chefamt S.
St. ermittelt Kunstwerke bis zu Schramm! Gestapo-Akte Schramm – verschwunden? Verbrannt? Nachforschen.
Falls St. Schwierigkeiten macht: Druck ausüben. Sohn Kriegsheimkehrer? Oder Ehebruch? (A.v.G. alias A.v.V.)«
Stave muss sich beinahe übergeben, ihn schwindelt. Ihm wird klar, dass sich Dönnecke durch die Ermittlungen bedroht fühlt. Irgendeine Geschichte mit Schramm, mit dem Bronzekopf und mit der Gestapo, die ich nicht erfahren darf. Und falls ich sie erfahre: Dann wird er sich Karl vornehmen. Oder … Er schließt erschöpft die Augen. »Ehebruch«, denkt er, und »A.v.G. alias A.v.V.« Anna. Der Kerl weiß irgendwoher, dass wir mal ein Verhältnis hatten. Er weiß, dass ich Witwer bin. Ehebruch, das kann dann also nur bedeuten, dass Anna verheiratet ist. Ausgerechnet Dönnecke zerstreut den letzten Zweifel. Das verdammte »G«.
Er will in rasender Wut dieses Büro zertrümmern, alles kurz und klein schlagen, hinausstürmen ohne Rücksicht, durch die nächtliche Stadt eilen, Dönneckes Wohnungstür einschlagen und … Nimm dich zusammen. Er sitzt starr auf Dönneckes Stuhl und atmet tief durch. Das ist mehr, als die Wut zu erkennen, dass da jemand in seinen privatesten Angelegenheiten herumgeschnüffelt hat. Anna ist verheiratet. Er blickt aus dem Fenster, über das feine Regenschlieren laufen, die im Licht einer Laterne funkeln wie Diamanten.
Diamanten – das führt Staves Erinnerung zurück zum vergangenen Sommer, als er Anna dabei beobachtete, wie sie bei einem Juwelier in den Colonnaden ein Schmuckstück kaufte. Einen alten Ehering. Ich bin ein Idiot, sagt er sich, ein Idiot, ein Idiot, ein Idiot. Dönnecke hat recht. Labil.
Er schreckt zusammen, als plötzlich die Bürotür aufgeht. »Haben Sie etwas gefunden?« MacDonald, der im Schein der Taschenlampe aussieht wie ein besorgtes Gespenst.
»Mehr als mir guttut«, erwidert Stave müde.
»Der Fall ist gelöst?«
»Nein, es sind bloß einige Puzzlestücke aufgetaucht, die vielleicht ein Bild ergeben. Der Tote im Reimershof hieß möglicherweise mit Vornamen Rolf. Über Doktor Schramm gibt es vielleicht eine Gestapo-Akte, die Dönnecke auf keinen Fall in meine Hände fallen lassen möchte. Vielleicht ist das der Grund, warum er die Ermittlungen verschleppt.«
»Unser Abenteuer hat sich gelohnt.«
»Mehr als ich gedacht hatte.« Stave erhebt sich. Er wünschte, er wäre nie in Dönneckes Büro eingestiegen. Aber es gibt Dinge, die man nicht einmal einem Freund anvertrauen kann. »Verschwinden wir, bevor uns doch noch jemand erwischt.«
Das Gedächtnis der Gestapo
Freitag, 18. Juni 1948
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als Stave schon wieder die Kripo-Zentrale betritt. Er hat in der vorangegangenen Nacht nicht einmal den Versuch gemacht, sich ins Bett zu legen. In seiner Wohnung roch es nach muffiger Feuchtigkeit. Er hat die Fenster stundenlang aufgerissen. Hoffentlich wird es irgendwann mal wieder trocken werden. Gedanken flackerten durch seinen Geist – manche Überlegungen, die ihn in Sackgassen führten, und andere, die zu Ende zu denken er sich fürchtete. So war er fröstelnd am Küchentisch gestrandet und hatte auf klammem Papier zwei Briefe geschrieben. Einen an Anna. Und einen an einen ehemaligen Gestapo-Agenten.
Er muss Anna wiedersehen, muss mit ihr reden, ihre Vergangenheit irgendwie ansprechen. Er hat ihr nichts von Dönneckes Schnüffeleien geschrieben und erst recht nichts von dem, was der Kollege herausgefunden hat. Nichts von dem Ring. Nichts von »G«. Er hat sie bloß um eine Verabredung gebeten und das einzige Restaurant vorgeschlagen, das er in der Nähe ihrer Wohnung kennt: »Lass uns morgen Mittag in ›Sellmers Kellerwirtschaft‹ essen.« Er wollte noch hinzusetzen: »Ruf mich auf der Dienststelle an, wenn du kannst.« Doch er fürchtet sich davor,
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