Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
verkündet. Seit heute Morgen haben sie im Radio eine wichtige Rede angekündigt. Bekommen Sie denn gar nichts mit?«
»Ich habe gearbeitet«, erwidert der Oberinspektor knapp. »Wann geht es los?«
»Übermorgen.«
Stave schnappt nach Luft. Kein Wunder, dass Flasch die Nacht durchgearbeitet hat. »Sie geben das Geld an einem Sonntag aus? Ich hätte gedacht, dass der Bürgermeister uns eine etwas längere Vorwarnzeit gönnt. Uns Zeit gibt, sich auf das Geld einzustellen.«
»Sie wollen Spekulanten keine Chance mehr geben. Überall machen außerdem die Geschäfte dicht. Chaos auf den Bahnhöfen, weil alle Bürger zurückwollen. Sie selbst haben auch frei. Heute interessiert uns der Schwarzmarkt mal nicht.«
»Was blüht uns denn?«
»Brauer hat gesagt, dass die Alliierten neue Geldscheine ausgeben werden. Deutsche Mark, an den Namen muss man sich erst mal gewöhnen. Überall in der Stadt werden am Sonntag Umtauschzentralen eingerichtet. Jeder Deutsche bekommt ein Kopfgeld von 40 Mark. Im August sollen dann noch mal 20 Mark dazukommen.«
»Klingt nicht gerade wie ein Vermögen.«
»Haben Sie viel Geld gespart? Den einen oder anderen Schein beiseitegelegt?«
Der Oberinspektor hat in den letzten Jahren das meiste Geld von seinem kargen Verdienst in Kaffee und Zigaretten gesteckt, mit denen er wiederum am Hauptbahnhof Informationen über seinen in Russland verschollenen Sohn eintauschte. Seit Karl endlich daheim war, hatte er ihn hin und wieder unterstützt. »Ich bin so gut wie blank«, gesteht er.
»Herzlichen Glückwunsch. Die richtige Strategie. Bankguthaben werden im Verhältnis zehn zu eins abgewertet. Für Bargeld, das sie zu Hause haben, sieht es noch finsterer aus. Für einen Hundert-Reichsmark-Schein wird man Ihnen fünf Deutsche Mark geben. Eins ist sicher: Reich wird man so nicht.«
Stave schließt die Augen und denkt an Toni Weber. Der Künstler bekam 3000 Reichsmark für seine Arbeit in Travemünde. Die Arbeit von mehreren Wochen. Übermorgen wird er dafür 150 Deutsche Mark erhalten. Wie vielen Menschen wird es so gehen wie ihm? Wie viele werden durch ihre Arbeit kaum noch etwas verdienen? Und wie viele Schwarzhändler, Schieber und Schmuggler werden nun in Panik geraten? Die haben ihre Scheine ja nie auf die Bank gelegt. Kistenweise Geld, das plötzlich nur noch ein Zwanzigstel seines aufgedruckten Wertes hat. Und keine Chance mehr, das bis zum Sonntag irgendwo auszugeben oder umzutauschen.
»Auf dem Schwarzmarkt wird es heute und morgen hektisch zugehen«, murmelt er.
»Oder auch nicht«, erwidert Bahr. »Niemand weiß, wie es nach dem Tag X weitergehen wird. Nur weil man neues Geld hat, kann man sich ja noch nicht mehr damit kaufen. Keine Ahnung, ob der Schwarzmarkt am Montag nicht erst richtig aufblüht. Wenn Sie mich fragen: Die Alliierten benehmen sich wie Glücksspieler, die beim Roulette alles auf eine Zahl setzen. Wenn es funktioniert, dann kann man sich beruhigt zurücklehnen. Wenn es nicht funktioniert, dann hat man ein Problem.«
Stave kommt eine Idee. »Werden auch Pfennige ausgegeben?«
Bahr starrt ihn an. »Sie stellen seltsame Fragen. Ich glaube, Brauer hat verkündet, dass die alten Ein- und Zwei-Pfennig-Münzen in Umlauf bleiben. Lohnt sich nicht, die Geldstücke einzuziehen. Allerdings drucken sie auch Pfennigscheine.«
Der Oberinspektor springt auf. »Sie geben auch Pfennigscheine aus?«
»Fünfer und Zehner. Ich weiß wirklich nicht, wie die aussehen sollen.«
»Blau und grün mit Rautenmuster«, antwortet Stave, plötzlich ungeduldig. »Ich muss unbedingt mit den Engländern reden.«
Er verlässt die Kripo-Zentrale zusammen mit Dutzenden Kollegen. Hektische Bienen, die aus dem Stock schwirren, nachdem die Königin gestorben ist, denkt der Oberinspektor. Er quetscht sich in eine voll besetzte Straßenbahn. Passanten auf den Bürgersteigen, Angestellte, Hausfrauen, Kinder, Kriegskrüppel, in jeder Richtung unterwegs, mit schnellen Schritten. Ein Leierkastenmann, den die Menge umbrandet, so dicht und gleichgültig wie das Meer. Leere Schaufenster. Verrammelte Ladentüren. Handgeschriebene Schilder hinter Regenschlieren: »Wegen Umbau geschlossen«, »Inventur«. Stave fragt sich, ob irgendeines dieser Geschäfte am Montag wieder öffnen wird. Oder ob der Tag X ein gigantischer Fehlschlag werden wird, der Todesstoß für die taumelnde Wirtschaft.
Er quert den Hauptbahnhof und benötigt dafür schon fast eine Viertelstunde. Gedränge auf den Bahnsteigen, in den
Weitere Kostenlose Bücher