Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Nebelschleier gehüllt, wie in dünne, schmutzige Gazestreifen. Im Büro riecht es nach altem Reinigungsmittel. Im Kopf des Oberinspektors wirbeln noch immer Überlegungen durcheinander. Anna. MacDonald ist bei einem englischen Geheimdienst. Plötzlich fragt er sich, ob nicht der Lieutenant etwas über Anna von Veckinhausen wissen könnte. Wenn sie einem Gestapo-Mann aufgefallen ist, warum dann nicht auch einem englischen Agenten? Gibt es neben der deutschen vielleicht gar eine britische Akte, irgendwo in irgendeinem Büro? Will ich das überhaupt wissen?
Betrüg dich nicht selbst, ermahnt er sich: Selbstverständlich hätte er keine Ruhe, bis er nicht alles weiß. Einmal Polizist, immer Polizist. Ich werde mich bei MacDonald erkundigen. Er sieht auf die Wanduhr und rechnet die Zahl der Minuten bis zur Verabredung in der Werkstatt aus, und zugleich fürchtet er sich schon vor dem Treffen.
Um nicht durchzudrehen, zwingt er sich, an den anderen Fall zu denken. Wenn ihm der Lieutenant schon einen Gefallen tun soll, dann sollte er sich auch dafür revanchieren. Also die Geldfälscher.
Da der Kripo-Beamte den Telefonhörer noch immer mit der Rechten umklammert, kramt er kurzerhand mit der Linken in seinen Notizen und wählt eine Nummer. Die Landeszentralbank.
Ein paar Minuten später hat er Kurt Flasch am Apparat.
»Ich habe wirklich keine Zeit, Herr Oberinspektor.« Flasch klingt noch etwas gehetzter als sonst.
Guter erster Satz, denkt Stave. Eigentlich würde er sich jetzt zurücklehnen und erst recht ausführliche Fragen stellen. Doch er mag den Nachbarn, der wirkt, als würde er in seiner riesenhaften Familie beständig gegen das Ertrinken ankämpfen.
»Der Tag X naht?«, antwortet er in verständnisvollem Ton.
»Das lässt sich nun wirklich nicht mehr verheimlichen.«
»Sie haben seit heute Morgen besonders viel zu tun?«
»Ein paar Kollegen und ich haben die Nacht durchgearbeitet.«
»Dann ist es jetzt so weit.«
»Es mag lächerlich klingen, Herr Oberinspektor, aber das darf ich Ihnen nicht verraten. Vorschrift ist Vorschrift.«
»Welche Farben werden die neuen Geldscheine haben?«
Stille am anderen Ende der Leitung. »Ich weiß wirklich nicht, ob …«
»Farben, Herr Flasch, es geht bloß um Farben.«
»Blau. Lachsrosa. Und Grün in allen Varianten: Grüngelb, Hellgrün, Türkis. Warum fragen Sie?«
»Gedruckt auf Notenpressen?«
»Selbstverständlich. Aber das …«
»In Deutschland?«
Wieder Stille. Stave glaubt, den schweren Atem des anderen durch das Rauschen der Leitung zu hören. »Nein. Die Geldscheine wurden in einem alliierten Land hergestellt. Mehr …«
»Könnte man derartige Noten in Deutschland drucken?«
»Zumindest noch nicht jetzt. In Frankfurt bei der dortigen Landeszentralbank stehen Druckstöcke. Teilweise zerbombt, das überrascht Sie sicherlich nicht. Aber wenn man sie repariert und einrichtet, dann wohl ja. Das wird aber noch einige Zeit dauern.«
Der Kripo-Mann richtet sich in seinem Stuhl auf, erstaunt und aufmerksam. »Sie meinen, es gibt in allen vier Zonen zurzeit keine Druckerei, die neue Geldscheine herstellen könnte? Auch keine private Druckerei?«
Flasch lacht. »Das wäre verboten. Und sie könnten es auch nicht, selbst wenn das jemand wollte. Zu kompliziert, zu aufwendig. Die alten Reichsmarklappen sind noch in Frankfurt gedruckt worden. Aber neue Scheine? Nirgendwo.«
»Ich will Ihre Arbeitszeit nicht länger in Anspruch nehmen«, erwidert Stave und legt auf.
Die Sache mit den Pfennigscheinen auf dem Goldbekplatz wird immer mysteriöser. Schon Weber hatte ihm gesagt, dass es kompliziert sein muss, diese Blüten zu drucken. Und nun hat Flasch das noch deutlicher gemacht: so kompliziert, dass niemand in den Zonen so etwas fertigbringt. Kein Wunder, dass niemand vom Chefamt S eine Druckmaschine hatte finden können. Wenn niemand derartige Blüten in Deutschland drucken kann, folgert der Kripo-Mann, dann kann das doch eigentlich nur eines bedeuten – dass sie im Ausland hergestellt worden sind. Bin gespannt, was MacDonald dazu sagt.
Er schreckt auf, als sein Vorgesetzter die Tür aufstößt, ohne vorher anzuklopfen. Die schlaffe Haut in Bahrs Gesicht ist gerötet, er atmet schwer.
»Stave, Sie sind wahrscheinlich der einzige Kollege, der gerade nicht Radio gehört hat!«
»Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen?«
»Reißen Sie keine Witze, die mich nervös machen. Es ist amtlich: Wir kriegen neues Geld. Bürgermeister Brauer hat es eben im NWDR
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